Buchrezension: Wladimir Köppen – Scholar for Life/Wladimir Köppen – ein Gelehrtenleben für die Meteorologie
Wegener-Köppen, E. and Thiede, J.: Wladimir Köppen – Scholar for Life/Wladimir Köppen – ein Gelehrtenleben für die Meteorologie, Original German edition and complete English translation with updated bibliography, Deutsche Originalausgabe und englische Übersetzung mit ergänzter Bibliographie, 313 pp., 52 figures, Borntraeger Science Publishers, Stuttgart, ISBN 978-3-443-01100-0, EUR 34,80, 2018.
Zu den bedeutendsten Wissenschaftlern in der Entwicklung der maritimen Meteorologie, der Klimakunde und der Aerologie zählt der Deutschrusse Wladimir Köppen (1846–1940). Er war nach seiner Pensionierung der Familie seines Schwiegersohnes Alfred Wegener (1880–1930) nach Graz gefolgt. Nachdem 1931 das Grab seines verschollenen Schwiegersohnes auf dem grönländischen Inlandeis gefunden worden war, begann Köppen auf Bitten seiner Tochter Else (1892–1992) seine Autobiographie zu schreiben, die er mit Auszügen aus Briefen und mit Bildern illustrierte. Leider brach Köppen mit seiner Niederschrift über die Ereignisse des Jahres 1903 mit der Begründung ab, dass nun seine Kinder die Biographie fortführen könnten. Diesen Auftrag übernahm seine Tochter, die seit 1913 mit Wegener verheiratet war. Weil 1945 bei den Unruhen in Graz nur noch der Briefwechsel zwischen Köppen und Wegener aus den Jahren 1910 bis 1918 gerettet werden konnte, übernahm Erich Kuhlbrodt, Wegeners ehemaliger Kollege aus der Deutsche Seewarte in den Jahren 1920 bis 1924, die wissenschaftliche Fortsetzung der Biographie, die Else Wegener mit familiären Erinnerungen ergänzte und 1955 mit einer 526 Publikationen umfassenden Veröffentlichungsliste von Köppen herausgab.
Jetzt liegt erstmals eine englische Übersetzung von Köppens Biographie mit einer um 34 Titel ergänzten Publikationsliste einschließlich Übersetzung der deutschen Titel, einer wissenschaftlichen Einführung des Herausgebers und einem Vorwort von Wladimir Köppens Urenkel Günther Schönharting stellvertretend für die Familie Köppen vor. Ein Reprint der Originalausgabe ergänzt das Buch. Eine getrennte russische Übersetzung ist ebenfalls erschienen, wodurch Köppens immense Verdienste in den verschiedensten Bereichen der Meteorologie nun auch dem russischen Sprachraum zugänglich gemacht wurden. Die englisch/deutsche Ausgabe wurde u.a. auch von der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung finanziell unterstützt.
Die Autobiographie beginnt mit allgemeinen Betrachtungen des 85 jährigen Wladimir Köppen. Es folgt ein Rückblick auf Köppens Vorfahren und seine Kindheit in St. Petersburg und auf der Krim. Weitere Lebensabschnitte behandeln sein naturwissenschaftliches Studium in St. Petersburg, Heidelberg und Leipzig (1864–1870), die Zeit als Assistent am Physikalischen Zentralobservatorium in St. Petersburg (1872–1873), das damals von dem Schweizer Meteorologen Heinrich Wild (1833–1902) geleitet wurde. Auf dem ersten internationalen Meteorologenkongress in Wien (1873) wurde Georg Neumayer (1826–1909) auf den fähigen Klimatologen Köppen aufmerksam und konnte ihn für die Abteilung Wetterdienst in der 1875 gegründeten Deutschen Seewarte in Hamburg (heute aufgeteilt in Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie und Deutscher Wetterdienst Niederlassung Hamburg) erfolgreich abwerben. Von 1879 bis 1919 war Köppen 40 Jahre lang Meteorologe der Seewarte und konnte sich in dieser Position voll auf seine wissenschaftlichen Arbeiten konzentrieren. In dieser Zeit entstanden 354 Publikationen (Nr. 43 bis 396), das sind rund neun Publikationen pro Jahr. Darunter befinden sich der berühmte „Wolkenatlas“ von Hugo Hildebrandsson, Wladimir Köppen und Georg Neumayer (1890), sowie die „Grundlinien der Maritimen Meteorologie“ und ein erster Entwurf der „Klimalehre“, beide aus dem Jahr 1899. Die Bücher wurden mehrfach aufgelegt bzw. auch kontinuierlich erweitert.
In diesen Zeitraum fällt auch die maßgeblich von Köppen vorbereitete Gründung der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft im Jahr 1883 als Folge der mangelnden Einflussmöglichkeiten der in Deutschland nicht organisierten Meteorologen, was sich vor allem an der zögerlichen Beteiligung Deutschlands am ersten Internationalen Polarjahr (1882–1883) bemerkbar gemacht hatte. 1884 bis 1891 war Köppen Schriftleiter der Meteorologischen Zeitschrift und von 1898 bis 1922 zweiter Vorsitzender der Gesellschaft. Über diese Tätigkeiten erfährt man in Köppens Lebensbeschreibung fast nichts.
Fortgesetzt wird die Biographie im zweiten Teil mit der Beschreibung von Köppens wissenschaftlicher Tätigkeit ab der Jahrhundertwende, beginnend mit dem Aufbau der aerologischen Station in Großborstel (heute ein Stadtteil von Hamburg), den er ab 1901 an der Seewarte betrieb. Schon vor der Verlobung seiner Tochter Else mit Alfred Wegener war der künftige Schwiegersohn mit ihm in wissenschaftlichen Kontakt getreten, der sich insbesondere durch Wegeners Anstellung als Köppens Nachfolger in der Leitung der Abteilung Meteorologie an der Deutschen Seewarte und der Drachenstation in Großborstel im Jahr 1919 vertiefte.
Nach seiner Pensionierung war Köppen weiterhin wissenschaftlich äußerst aktiv und publizierte in 21 Jahren 163 Werke, d.h. rund 8 Werke pro Jahr, darunter 1923 das nun 369 Seiten umfassende Buch „Die Klimate der Erde. Grundriß der Klimakunde“, den schon 1924 der Klassiker „Die Klimate der geologischen Vorzeit“, der 2015 als Faksimile-Nachdruck und in einer Übersetzung ebenfalls bei Borntraeger herausgegeben wurde, folgte. Gemeinsam mit Rudolf Geiger vorbereitet erschien 1930 das fünfbändige „Handbuch der Klimatologie“. Hochbetagt und zu seinem 80. und 90. Geburtstag mit Festschriften wissenschaftlich gewürdigt starb Köppen 1940 in Graz, das damals schon fest in der Hand der Nationalsozialisten war. Erst als Student in Deutschland zu jung für den Deutsch-Französischen Krieg (1870–1871) und dann zu alt für die beiden Weltkriege kam der ausgesprochene Pazifist Köppen nie in die Verlegenheit, in den Krieg ziehen zu müssen.
Ein wenig mehr Sorgfalt in der Herausgabe des vorliegendes Buches hätte nicht geschadet, Während der Tippfehler „Kussland“ statt „Russland“ in Nummer 555 der Bibliographie auf S. 173 noch amüsiert, ist die Wahl des falschen Vornamens „Alexander“ aus der Liste der erwähnten Gelehrten im Originaltext von 1955 für den Reprint in Fußnote 75 auf S. 244 (vgl. S. 69 in der Übersetzung) statt „Eduard Brückner“ oder in der wissenschaftlichen Einführung auf S. 185 (resp. S. 17) „Wilhelm“ statt „Rudolf Geiger“ ärgerlich. In beiden Fällen wurden die Meteorologen mit ihren Vätern verwechselt, die jedoch an anderer Stelle Erwähnung finden. Weshalb die ursprüngliche Klimakarte auf S. 133 der Originalausgabe, die Grönland, Europa, Afrika und die Antarktis zwischen 80∘ N und 80∘ S umfasst, durch die Klimaweltkarte aus „Die Klimate der Erde“ (1923) (S. 291 resp. S. 114), ersetzt wird, obwohl sie in fast identischer Form Köppens früherer Veröffentlichung aus dem Jahr 1918 entnommen und im Vorwort auf S. 186 (resp. S. 18) farbig wiedergegeben wurde, bleibt unklar. Wegen der minderen Vorlagequalität der allerersten – von Köppen persönlich entworfenen – Wetterkarte vom 16. Februar 1876 aus dem Original auf S. 53 und auf die der Text ausführlich Bezug nimmt, wurde stattdessen auf S. 231 (resp. S. 57) die besondere Glückwunschwetterkarte zum 80. Geburtstag von Fürst Otto von Bismarck am 1. April 1895 wiedergegeben, die nicht einmal aus der Hand Köppens stammt! Dabei wäre es doch ein Leichtes gewesen, sich einen brauchbaren Scan der ersten und wesentlich bedeutenderen Wetterkarte vom Wetterdienst zu besorgen.
Des Weiteren hätte ich mir für den Reprint der deutschen Ausgabe eine Kennzeichnung der 34 zusätzlichen Publikationen in Köppens Veröffentlichungsliste gewünscht. Die Ergänzung von Seitenzahlen aller genannten Zeitschriftenartikel, die im Original nicht angegeben wurden, ist sehr nützlich. Warum allerdings Köppens Kapitelbeiträge in Büchern oder die von Else Wegener sogenannte „fachmeteorologische Mitarbeit am Atlas für den Stillen Ozean“ oder der Vorschlag für den Geographentag von 1893 über die Schreibung geographischer Namen weiterhin als „selbständige Schrift (Buch)“ aufgeführt werden, kann ich nicht nachvollziehen, zumal heutzutage doch akribisch zwischen begutachteten/nicht begutachteten Artikeln, Buchbeiträgen und eigenständigen Büchern (Monographien) unterschieden wird. Else Wegeners Schreibfehler von „Neumeyer“ auf S. 299 wurde nicht korrigiert, was in der Übersetzung auf S. 122 jedoch geschah. Schließlich hätte man auf S. 289 (resp. S. 112) bei der Beschreibung von Köppens Klimaformeln, die sowohl im Reprint als auch in der Übersetzung unterschiedlich geschrieben wurden, die Fußnote 86: „Eine Erklärung der Buchstabensymbole würde hier zu weit führen“ leicht unter zu Hilfenahme des Originalwerkes („Die Klimate der Erde“ von 1923, ff. 120–121, 126, 144) auflösen können, was ich hier in der richtigen Schreibweise laut Köppen nachhole, um einen Eindruck von Köppens Einteilung der Klimaklassen zu geben:
- Berlin:
-
Cfb
- C:
-
Gemäßigte warme Regenklimate
- Cf:
-
Feuchttemperiertes Klima
- b:
-
Temperatur des wärmsten Monats unter 22 ∘C, mindestens 4 Monate über 20 ∘C
- Belem [Parà]:
-
Amw'i
- A:
-
Tropische Regenklimate
- Am:
-
Monsunwaldklima
- w':
-
trockenste Zeit im Winter, Regen zum Herbst hin verschoben
- i:
-
isotherm, Differenz der extremen Monate unter 5 ∘C
- San Diego [Kalifornien]:
-
BSks
- B:
-
Trockenklimate
- BS:
-
Steppenklima
- k:
-
(winter-)kalt, Jahrestemperatur unter 18 ∘C, wärmster Monat über 10 ∘C
- s:
-
trockenste Zeit im Sommer
Für den Reprint und die Übersetzung wäre ein zusätzlich eingefügter Personenindex sehr nützlich gewesen, denn Köppen stand mit vielen bedeutenden Wissenschaftlern im Kontakt, die man gerne für die weitere historische Forschung im Text ohne lange Suche wiederfinden würde. Von den genannten Mängeln und Wünschen abgesehen ist nun erstmals Köppens aus familiärer Sicht geschriebene Biographie auf Englisch und Russisch zugänglich und empfehlenswert nicht nur für jeden, der sich für die Geschichte der Meteorologie in Deutschland interessiert, sondern auch für alle, die sich mit der Entwicklung der Klimaforschung und ihren Protagonisten näher beschäftigen möchten. Eine wissenschaftshistorische Aufarbeitung und Einordnung von Köppens Tätigkeit in das wissenschaftliche Umfeld seiner Zeit und seine Bedeutung für die heutige Klimaforschung im Zeichen des Klimawandels stehen jedoch noch aus.