Buchrezension: Aeroarctic – Das Zeppelin-Arktis-Projekt
Schennerlein, B.: Aeroarctic – Das Zeppelin-Arktis-Projekt, Borsdorf (edition winterwork), 432 ff., 116 Abb., ISBN 978-3-98913-087-6, EUR 20,00, 2024.
Eine Fahrt von sieben Tagen (24.–31. Juli 1931), davon vier Tage (26.–29. Juli 1931) über dem Eis, und 13 028 zurückgelegte Kilometer, das war die lange geplante und einzige Unternehmung der Aeroarctic (AE). Von den Plänen und Hoffnungen, den Enttäuschungen und Ergebnissen jener Polarfahrt handelt dieses wichtige polarhistorische Werk.
Ausgehend von einer älteren Denkschrift von Berliner Wissenschaftlern und des Luftschiffführers Walter Bruns (1889–1955) kam es am 7. Oktober 1924 in Berlin zum Gründungstreffen der Aeroarctic. Die Anwesenheit von Fridtjof Nansen, der sich zur Übernahme der Präsidentschaft bereit erklärte, verschaffte der AE großes Ansehen im Ausland. Nansen und Bruns reisten 1925 in die UdSSR, wo sie 1926 die Konstituierung einer sowjetischen Gruppe der AE bewirkten. Deren Federführung hatte Rudolf Samoilowitsch (1881–1939), der auch 1926 an der ersten Generalversammlung der AE in Berlin teilnahm. An der zweiten Generalversammlung 1928 in Leningrad, zufällig zeitgleich mit der Rettung der „Italia“-Überlebenden, nahmen Vertreter aus acht Ländern teil, wobei in der Mitgliederliste 260 Mitglieder aus 20 Ländern eingetragen waren. Nansen äußerte die Hoffnung, dass die neu erbaute LZ 127 im Sommer 1929 für Polarfahrten zur Verfügung stünde. Daraus wurde nichts, weil Hugo Eckener, dem die Verfügung über die LZ 127 oblag, prestigeträchtigen Südamerikafahrten und einer Weltfahrt den Vorzug gab.
Die Polarfahrt wurde in das Jahr 1930 verschoben, wozu Umbauten am Zeppelin in die Wege geleitet wurden. Ein schwerer Schlag für die Finanzierung der Polarfahrt war der Börsencrash von Oktober 1929. Allein die Versicherungskosten beliefen sich auf RM 420 000. Eine kreative Finanzierung war gefragt. Eckener sprach den Hearst-Konzern (New York Times) an und hatte die erfolgreiche Idee von polarem Brieftransport. Ein schwerer Schlag war der Tod Nansens im Mai 1930, worauf man Hugo Eckener die Präsidentschaft der AE antrug. Dieser hatte durch gerade erfolgte Fahrten nach Island und Spitzbergen Erfahrungen und Zuversicht hinsichtlich arktischer Unternehmungen gewonnen. Eckener konnte eine Versicherung für 1931 abschließen, unter der Bedingung einer Beschränkung der Forschungsziele. Wegen angeblicher Risiken durfte der 82. Breitengrad nicht überschritten werden. Die sowjetische Gruppe wurde von diesen Entwicklungen unterrichtet, war aber nach wie vor an der Mitarbeit interessiert, da nützliche Ergebnisse im Bereich von Sewernaja Semlja in Aussicht standen.
Im Mai 1931 war die Polarfahrt gesichert. Höchste Priorität hatte nun die Besetzungsliste. Zehn Plätze standen ursprünglich für Wissenschaftler zur Verfügung. Die UdSSR nominierte Rudolf Samoilowitsch und den Meteorologen, den Funker Ernst Krenkel und den Luftschiffer Fjodor Assberg. Die Landesgruppe Deutschland bestand aus Prof. Weickmann, Dr. Ing. Aschenbrenner, Dipl. Ing. Basse, Dr. med. Kohl-Larsen, Walter Bruns und den Fernsehtechniker August Karolus. Die um die Organisation des Unternehmens hoch verdienten AE-Mitglieder Dr. Wasmund und Leonid Breitfuß wurden dabei übergangen. Vertreter der skandinavischen Länder war der schwedische Geodät Gustav Ljungdahl. Die Landesgruppe USA repräsentierte Commander Edward Smith. Lincoln Ellsworth erkaufte sich einen Platz für USD 5000. Von Start und Landung in Friedrichshafen war die LZ 127 insgesamt 136 h und 36 min in der Luft. Zwischenlandungen gab es in Berlin, Leningrad, für 15 min knapp über dem „Malygin“ in Franz Josef-Land und noch einmal in Berlin-Tempelhof.
Die Bilanz der Polarfahrt war ansehnlich. Die wissenschaftlichen Ergebnisse stellte Leonid Breitfuß zusammen, wobei er bei nicht wenigen Teilnehmern auf eine verbreitete Lustlosigkeit der Manuskriptabgabe zu kämpfen hatte. Seiner Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass 1933 beim Verlag Justus Perthes in Gotha eine zusammenfassende Darstellung der Arktisfahrt mit wissenschaftlichen Ergebnissen erschien. Darin werden Meteorologie, Geographie und Geomorphologie und Erdmagnetismus behandelt.
Eine offene Frage war der Verbleib der Luftaufnahmen. Der Fotograf Claudius Aschenbrenner hatte vier Aufnahmegeräte für senkrechte, schräge, stereoskopische und Einzelmessaufnahmen zur Verfügung. Die Ergebnisse der photogrammetrischen Arbeiten wurden (bewusst?) nie an die UdSSR geliefert. Dienten sie 1933 schon der Kriegsvorbereitung von Seiten Deutschlands? Auf einer Sitzung am 15.10.1931 legten die Geodäten Prof. Otto von Gruber und Basse das umfangreiche Aufnahmematerial vor. Freilich betrügen die Kosten der Auswertung bis zur Reinzeichnung insgesamt RM 14 000, wobei sich der Kassenbestand der AE gerade einmal auf RM 1488,07 belief. Basse entwickelte und nummerierte derweil die Aufnahmen, die Gruber im März 1932 vollständig vorlagen. Zugleich gab es einen intensiven Austausch zwischen Gruber, Wladimir Wiese und Samoilowitsch über geographische Details, zumeist Sewernaja Semlja betreffend. Als Leonid Breitfuß im Juni Gruber um Zusendung von Ergebnissen drängte, verwies dieser auf das Fehlen aller Zuarbeiten Aschenbrenners. Letztlich waren es fehlende Mittel, welche die Auswertung des Fotomaterials verhinderten und nicht Misstrauen gegenüber den sowjetischen Kollegen. Siebzehn Karten sollten entstehen, aber es wurden nur drei.
Die Aeroarctic bestand nach der Arktisfahrt praktisch nur aus Leonid Breitfuß und seinen wissenschaftlichen Nachbereitungen. Sie wurde 1937 formell aufgelöst. Im vorliegenden Buch folgen noch zwei interessante Zusätze. Sie betreffen die Expedition mit dem Eisbrecher Malygin, der ja die LZ 127 vor der Polarstation Buchta Tichaja zur Postübergabe traf, und das „Arctic-logbook“ von Lincoln Ellsworth.
Die aufsehenerregende Forschungsfahrt der LZ 127 war ein Meilenstein der arktischen Luftfahrt. Mit dieser Darstellung der Aeroarctic hat Barbara Schennerlein erarbeitet, wie trotz enormer politischer und wirtschaftlicher Hürden das Projekt – vor allem in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern der UdSSR – zum Erfolg geführt wurde. Über weite Strecken wurden neue Inhalte aus deutschen, russischen und amerikanischen Archiven gewonnen. Abschließend bleibt festzustellen, dass Arbeitsaufwand, Inhalt und Umfang dieses Buchs in keinem Verhältnis zu seinem äußerst günstigen Verkaufspreis von nur EUR 20,00 stehen. Die Geschichte der Aeroarctic ist endgültig geschrieben.