In memoriam Prof. Dr. Friedhelm Thiedig (* 7. April 1933 – † 5. Dezember 2024)
Am 5. Dezember 2024 verstarb unser langjähriges DGP-Mitglied Prof. Dr. Friedhelm Thiedig friedlich im Familienkreis in seinem Norderstedter Heime. Friedhelm Thiedig wurde am 7. April 1933 in Blumberg (Brandenburg/Neumark, Warthebruch) geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in Blumberg und Schwiebus (Neumark) und – nach der Flucht im Januar 1944 – in Erfurt. Nach dem Abitur dort begann er 1951 das Studium der Geologie in Halle (S). Währenddessen schloss er sich einer Widerstandsgruppe („Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“) an, verteilte in der DDR verbotene Schriften und Flugblätter, wurde 1952 verhaftet und verbrachte ein halbes Jahr in qualvoller Untersuchungs-Einzelhaft in Halle (S). Schließlich wurde er zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Haftzeit verbüßte er zuerst im Stasi-Gefängnis „Roter Ochse“ in Halle, hauptsächlich dann in der berüchtigten Haftanstalt Torgau – unter fürchterlichen, menschenunwürdigen Haftbedingungen. Diese Knastzeit – wie er selbst oft sagte – hat ihn immer wieder beschäftigt und zugleich widerstandfähig gegen spätere Probleme gemacht (z.B. seine schwere FSME im Jahre 1962, die er völlig folgenlos im Friesacher Krankenhaus auskurieren konnte). Immer wieder hat er von seiner Haft unter verschiedensten Aspekten berichtet (erzählt und publiziert). Danach – 1958 – floh er in den Westen und setzte sein Geologiestudium in Tübingen fort.
Von dort aus fertigte er unter der Anleitung von Reinhard Schönenberg seine Diplomarbeit (1959–1961) und seine Dissertation (1962–1965) an, und zwar im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft (ostalpines) „Saualpen-Kristallin“ (außer der Universität Tübingen die Universitäten Clausthal und Wien und den Erzbergbau Hüttenberg umfassend). Unter den fünf Schönenberg-Schülern der Tübinger Teilgruppe war er der „Senior“, nahm uns Jüngere kameradschaftlich unter seine Fittiche, führte uns in die Region der Kärntner Saualpe geologisch, petrologisch, historisch, geographisch und – jedenfalls mich (Georg Kleinschmidt) – auch motorradmäßig ein (er hatte die gleiche Maschine, eine Adler M 200).
1964 wechselte er als Wissenschaftlicher Assistent an das Geologisch-Paläontologische Institut der Universität Hamburg, 1977 wurde er dort zum „Wissenschaftlichen Rat und Professor“ ernannt. 1986 folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl für „Historische und Regionale Geologie“ an die Universität Münster. 1997 wurde er emeritiert.
Friedhelm Thiedigs Doktorarbeit hatte das Thema „Der südliche Rahmen des Saualpen-Kristallins in Kärnten“ (1966). Beides, Diplom- und Doktorarbeit, machten ihn zum perfekten Kartier- und Feldgeologen und zum Spezialisten für Kristallin-Geologie. Ersteres blieb er sein Leben lang, letzteres ließ er bald hinter sich; er wurde zu einem der wenigen Allround-Geologen: Seine Arbeitsthemen umfassten außer Kristallin alpidische Einengungs- und Bruchtektonik, Kreideammoniten, Blitzröhren, Permotrias, Oberkarbon, Meteoriten, Hydrogeologie, Sedimentologie, nordische Geschiebe, Glazialgeologie und Geomorphologie, sowie Wissenschaftsgeschichte der Geologie; er kartierte mit zahlreichen Diplomanden und Doktoranden
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zwei österreichische Kartenblätter (GK 186 St. Veit und GK 205 St. Paul in Mittel- bzw. Unterkärnten),
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auf zwei baden-württembergischen Blättern (GK 8313 Wehr und GK 8413 Bad Säckingen im Südschwarzwald);
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auf 10 geologischen Spitzbergen-Blättern 1:100 000 des norwegischen Polarinstituts.
Zu seinen Arbeitsregionen gehörten außer den Ostalpen: Schleswig-Holstein bzw. das Hamburger Umfeld, Helgoland, Sylt, Schwarzwald, Nordafrika (Libyen), Südamerika (Chile, Peru), die Antarktis (Teilnahme an den Expeditionen GANOVEX V [1988/89] und VI [1990/91]), vor allem aber die Nordpolarregion mit Spitzbergen, Franz-Josef-Land und Nord- Grönland. In den 80er und 90er Jahren etablierte Friedhelm Thiedig Arktis-Arbeitsgruppen in Hamburg und Münster und schuf damit eine Basis für eine systematische geologische Erforschung der Erdgeschichte und der tektonischen Ereignisse auf Spitzbergen. Sieben Expeditionen hat er selbst organisiert und geführt. Diese Erfahrungen waren eine Voraussetzung für den Einstieg der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in die Arktis-Forschung, die seit 1992 im Rahmen des CASE-Programms „Circum-Arctic Structural Events“ die plattentektonischen Bewegungen und die Entstehung der heutigen Arktis erforscht. An zwei CASE-Unternehmen hat Thiedig selbst teilgenommen.
Schließlich widmete er sich bis weit über seine Pensionierung hinaus der Vermittlung geologischen Allgemeinwissens, und zwar vor allem im Rahmen der naturwissenschaftlichen Vereine für Hamburg und Kärnten: in Vorträgen und auf Exkursionen (Naturwiss. Ver. Kärnten: Libyen, Wattenmeer/Helgoland; Naturwiss. Ver. Hamburg: Oberrhein, Kärnten, Südtirol, Spitzbergen und Madagaskar).
Friedhelm Thiedigs geologische Highlights sind u.E.
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die Analyse des tertiären Faltengürtels auf der Bröggerhalbinsel (Westküste Spitzbergens) (eine Grundlage für die Interpretation der plattentektonischen Trennung von Nordostgrönland und Spitzbergen),
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die alpidische Einengungstektonik im Permo-Mesozoikums Mittel- und Unterkärntens,
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die Erforschung der Herkunft der antiken Bausteine in der Römerstadt des Kärntner Magdalensbergs und
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„seine“ zwei Meter hohe geologische Säule, von ihm aus den Originalgesteinen Kärntens (vom Saualmkristallin bis zum tertiären „Basalt“ im Lavanttal) errichtet im Hof der Klagenfurter Pädagogischen Hochschule.
Wegen seiner Verdienste für die Erforschung der Geologie Kärntens wurde er zum Korrespondenten sowohl des Naturwissenschaftlichen Vereins für Kärnten als auch der österreichischen Geologischen Bundesanstalt ernannt, und der Kärntner Landeshauptmann verlieh ihm 2003 das Große Ehrenzeichen des Landes Kärnten.
Außer der Geologie hatte Friedhelm Thiedig eine zweite Leidenschaft – seine große Familie: er hinterlässt außer seiner Frau Elke zwei Töchter und einen Sohn, neun Enkelkinder und zwei Urenkel. Mit ihnen trauern wir beide gemeinsam mit vielen weiteren Kollegen und Schülern, – Georg Kleinschmidt als Kommilitone und Kamerad seit Tübinger Tagen (1958) und später als befreundeter Kollege und Weggenosse (außer in Kärnten in Hamburg, im Schwarzwald … in der Antarktis), Karsten Piepjohn als Schüler und Doktorand; uns beiden war er stets Vorbild und echter Freund.