Articles | Volume 91
https://doi.org/10.5194/polf-91-81-2023
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Scientific article
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21 Nov 2023
Scientific article |  | 21 Nov 2023

Georg Neumayers Bemühungen um Kooperation mit Forschungseinrichtungen des Potsdamer Telegraphenberges

Hans-Jürgen Paech, Diedrich Fritzsche, Hartwig Gernandt, and Conrad Kopsch
Kurzfassung

Georg Neumayer hat seit seiner Rückkehr aus Australien im Jahre 1864 unermüdlich für die Durchführung von erdmagnetischen Untersuchungen und besonders im Rahmen von Südpolar-Forschungen geworben. In den fast vier Jahren seiner Berliner Zeit ab Mitte 1872 nutzte er seinen Bekanntheitsgrad und seine Einflussmöglichkeit von Seiten der Kaiserlichen Admiralität auch zur Förderung der Forschungseinrichtungen auf dem Potsdamer Telegraphenberg. Ehe die ersten permanenten Baulichkeiten der neu entstehenden Observatorien errichtet waren, führte er dort schon im Jahre 1874 erste erdmagnetische Messungen durch, für deren Fortführung ihm dann unentgeltlich eine Holzhütte errichtet wurde. Seine Messungen erfolgten darin allerdings nur sporadisch und ohne Einbindung in ein größeres Forschungsprojekt, letzte Registrierungen von Neumayer sind aus dem Jahre 1891 bekannt. Später versuchte Neumayer bei seinen Expeditionsbemühungen nach der Berliner Zeit, ab März 1876, von Hamburg aus die Potsdamer Einrichtungen noch einzubeziehen, mit nachlassendem Erfolg. Das eigentliche Expeditionsgeschehen bei der Deutschen Südpolar-Expedition 1901–1903 gestaltete dann im Wesentlichen die neue Generation, an deren Spitze sich Erich von Drygalski auszeichnete. Die neuen Daten untermauern nachträglich die Richtigkeit der Standortwahl der Forschungsstelle des Alfred-Wegener-Instituts. Abschließend wird Neumayers uneingeschränkte Verehrung der wissenschaftlichen Leistungen des Namensgebers der anderen deutschen ehemaligen Antarktisstation Georg Forster anerkennend hervorgehoben.

Abstract

Since his return from Australia in 1864, Georg Neumayer has tirelessly promoted the conduct of geomagnetic investigations and especially in the context of southern polar research. In the almost four years of his time in Berlin from mid-1872, he also used his fame and his influence on the part of the Imperial Admiralty to promote the research institutions on the Potsdam Telegraphenberg. Before the first permanent buildings of the newly emerging observatories were erected, he carried out the first geomagnetic measurements there as early as 1874, for the continuation of which a wooden hut was built free of charge. However, his measurements were carried out only sporadically and without involvement in a larger research project, the last registrations are known from 1891. Neumayer also tried to involve the Potsdam institutions in his expedition efforts after the Berlin time from March 1876 onwards from Hamburg, with diminishing success. The actual expedition events of the German South Polar Expedition 1901–1903 were shaped by the new generation, headed by Erich von Drygalski. Data presented here confirm additionally the correctness of the foundation of the Alfred Wegener Research Centre there. Finally, the excessive admiration of Neumayer to the scientific results of Georg Forster, giving the name of the former Antarctic station, is highly appreciated.

1 Vorspann

Der Name Georg Neumayer (1826–1909) (Abb. 1) ist seit seiner Rückkehr aus Australien im Jahre 1864 untrennbar mit dessen unermüdlichen und ausdauernden Anstrengungen zur Südpolar-Forschung verbunden, sodass es folgerichtig war, die bundesdeutsche Antarktisforschungsbasis im Jahre 1981 ihm zur Ehre mit seinem 1900 auch in Preußen zugelassenen Adelstitel Georg-von-Neumayer1-Station zu nennen. Nun hat sich herausgestellt, dass Georg Neumayer auch seit seiner Übersiedlung nach Berlin im Jahre 1872 und darüber hinaus versuchte, mit den neu entstehenden wissenschaftlichen Einrichtungen auf dem Potsdamer Telegraphenberg zu kooperieren bzw. Einfluss zu nehmen, was in der Literatur bisher meist unberücksichtigt geblieben ist (Cappel, 1976; Christmann, 1976; Kertz, 1983; Kretzer, 2021; Lindemann, 1896; Lüdecke, 1992, 1995, 2015a, b, 2021; Paech, 2012; Pokrowsky, 2009; Priesner, 1999; Schröder und Wiederkehr, 1992). So soll hier der jetzige Kenntnisstand darüber skizziert und eine Lücke geschlossen werden.

https://polf.copernicus.org/articles/91/81/2023/polf-91-81-2023-f01

Abb. 1Georg Neumayer (Foto: Archiv für deutsche Polarforschung, AdP).

2 Neumayers wissenschaftliche Position zu seiner Zeit

Zunächst wird in gebotener Kürze Neumayers Position in der damaligen Wissenschaftsgesellschaft vor seiner Berliner Zeit umrissen. Nach Rückkehr von seinen Aufenthalten in Australien und anderen Reisen als Matrose in Länder der Südhalbkugel blieb er ab dem Jahre 1864 zunächst vorzugsweise in seiner pfälzischen Heimatstadt Frankenthal und war dort äußerst engagiert bei der Auswertung der von ihm in Australien sowie aktuell in der Pfalz durchgeführten erdmagnetischen Landesaufnahmen (von Neumayer, 1905). Er war aber auch bei der Vorbereitung von international ausgerichteten Forschungen, vor allem in südpolaren Gebieten, in Zentralafrika (von Hochstedter, 1873, S. 476) sowie im maritimen Bereich tätig, denn er war Seemann mit am 21. Mai 1852 abgelegtem Steuermannsexamen (Kretzer, 2021, S. 25). Überhaupt sind Meeresforschungen ein weiteres Interessengebiet von ihm. So begründete er schon 1865 auf der Versammlung deutscher Geographen in Frankfurt a. M. die unbedingte Notwendigkeit der Einrichtung einer deutschen Seewarte und fand unter den 52 Teilnehmern entsprechende Unterstützung.2 Er war in dieser Zeit natürlich auch in weiteren wissenschaftlichen Gesellschaften aktiv, allgemein anerkannt und durch seine kooperative und rührige Art bei kollektiven Unternehmungen bestens vernetzt. Er hatte zahlreiche persönliche Kontakte zu den Spitzenwissenschaftlern seiner Zeit, so seit 1854 zu Alexander von Humboldt (1769–1859). Am 14. Juni 1854 war Neumayer bei von Humboldt eingeladen, der ihn um eine Denkschrift zu Australien gebeten hatte und bekam von von Humboldt Empfehlungsschreiben für Justus von Liebig (1803–1873) und den bayerischen König Maximilian (Moheit, 1994, S. 177). Weitere Kontakte kamen zustande zu Michael Faraday (1791–1867) (von Neumayer, 1905, S. 5) sowie zu Wilhelm Julius Foerster (1832–1921), dem Direktor der Berliner Sternwarte, der bei der Etablierung der wissenschaftlichen Observatorien auf dem Telegraphenberg in den 1870er Jahren und bei anderen Forschungsvorhaben maßgeblich beteiligt war, worauf weiter unten noch eingegangen wird.

3 Neumayer und Preußen

Der Kontakt zu Foerster war dann auch wichtig für Neumayers Aktivitäten in Berlin und Umgebung, speziell auf dem Telegraphenberg. Neumayers Einstellung zum Führungsanspruch der preußischen Politik, zunächst im Norddeutschen Bund und dann in Gesamtdeutschland, war durchaus kritisch. Als er im Jahre 1869 als Kandidat bei der Zollparlamentswahl für den Kreis Germersheim-Bergzabern aufgestellt war, setzten seine Unterstützer diese Haltung als Wahlhilfe ein.3 Neumayer hatte es anfangs auch nicht leicht, zu den preußischen Entscheidungsträgern, z. B. über Maßnahmen zur Beobachtung des Venus-Durchgangs auf der Südhalbkugel im Jahre 1874, Zugang zu bekommen. Im März 1871 musste er durch ein Telegramm an die gerade zu diesem Unternehmen tagende Kommission auf sich aufmerksam machen. Er wurde dabei von Foerster, einem Mitglied der Kommission, sofort unterstützt (Auwers, 1898, Sitzungsprotokoll 23. März 1871, S. 54). So konnte dann Neumayer bald am Treffen teilnehmen (Auwers, 1898, Sitzungsprotokoll 27. März 1871, S. 55), allerdings nur als Gast, aber trotzdem mit hoher Anerkennung wegen seiner Regionalkenntnis zur vorgesehenen Beobachtungslokalität, den Kerguelen, und wegen seiner damals noch mit österreichischer Unterstützung vorgesehenen Vorerkundung an Ort und Stelle (Jelinek, 1871).

4 Neumayer in Berlin (1872–1876)

Nach Gründung des Deutschen Reiches wurde das Unternehmen Venus-Durchgang von der in Berlin neu eingerichteten Kaiserlichen Admiralität weiterbetrieben, deren Hydrographisches Bureau von Profil und Format her auf Georg Neumayer als passender Leiter zugeschnitten war. Man bot ihm den Posten auch an und er sagte gleich zu, so dass er mit Eröffnung des Bureaus im Juli 1872 die Verantwortung für die Hydrographische Zentrale mit großen Einflussmöglichkeiten innehatte.4

Die Berufung Neumayers war aber trotz seiner besonderen Eignung für diese Position keineswegs ein Selbstläufer. An sich war ein unbekannter Mann für den Posten vorgesehen und es bedurfte einiger Anstrengungen von Foerster, die Admiralität davon zu überzeugen, dass Neumayer der bessere Kandidat sei. Neumayer bekam dann den Zuschlag und es wurde sogar ein höheres Budget bereitgestellt (Foerster, 1911, S. 132). Foerster und Neumayer, beide von ähnlichem Naturell, kamen sich nun noch näher und praktizierten offensichtlich eine recht optimale Kooperation zum Nutzen der wissenschaftlichen Unternehmungen.

Neumayers Einfluss in der Vorbereitungskommission zur Beobachtung des Venus-Durchgangs, der wie oben angedeutet zunächst nur schleppend in Gang kam, erweiterte sich dann 1874 allein schon durch seinen Aufstieg in der Hierarchie. Die Gestaltungsmöglichkeit vergrößerte sich aber noch erheblich, als die Admiralität für das Unternehmen ein Kriegsschiff, die Korvette S.M.S. Gazelle, zur Verfügung stellte. Damit ergab sich für Neumayer die Möglichkeit einer deutlichen Ausdehnung des Forschungsprogramms (spezielle Instruktion Neumayers, in Reichs-Marineamt, 1889, S. 34–40), das dann unter dem Namen Gazelle-Expedition in die Geschichte eingegangen ist. Die damit verbundenen Aktivitäten waren wahrscheinlich zunächst auch ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeiten von Neumayer in seiner Berliner Zeit. So hat Neumayer die Ausbildung der Offiziere der Gazelle-Expedition in Fragen der Vermessungskunde und des Erdmagnetismus übernommen, wozu auch Geländearbeiten in der Berliner Umgebung notwendig waren (Reichs-Marineamt, 1889, S. 9). Der Kontakt zur Wissenschaft auf dem Telegraphenberg war in dieser Zeit mehr theoretischer Natur, denn die Observatorien waren in Planung und die schon seit Juli 1874 angestellten Beobachter Hermann Carl Vogel (1841–1907) und Gustav Spörer (1822–1895) hatten für ihre astrophysikalischen Messungen zunächst nur provisorisch errichtete Plattformen auf dem Telegraphenberg zur Verfügung. Umso enger war der direkte Austausch zwischen Neumayer und Foerster in Fragen des Venus-Durchgangs (Foerster, 1911, S. 129). Einschränkend dabei war allerdings, dass sich Neumayer ab Februar 1875 vor allem anderen Aufgaben widmen musste, wie z. B. die zeitaufwendige Umorganisation der Deutschen Seewarte in Hamburg.

5 Neumayer in der Nähe Potsdams

Mit der Übernahme der Funktion des Hydrographen an der am 1. Juli 1872 eröffneten Kaiserlichen Admiralität zog Neumayer auch nach Berlin um (von Neumayer 1905, S. 6) und war damit in der Nähe Potsdams. Wohnung fand er in Berlin in der Schöneberger Straße 19.5 Mit Neumayers Umzug waren optimale Bedingungen für die Zusammenarbeit zwischen Neumayer und Foerster geschaffen. Neumayer nutzte das gleich in den ersten Wochen seiner Berliner Zeit. Schon am 17. Juli 1872 führte er erdmagnetische Messungen im Garten der Berliner Sternwarte aus (Neumayer, 1893, S. 468). Und Foerster schwärmte geradezu von den neuen Kooperationsmöglichkeiten bei der Etablierung der Wissenschaften auf dem Telegraphenberg, das aus seiner Feder so lautet:

Was zunächst das Projekt einer Sonnenwarte betraf, so gewannen Schellbach und ich einen besonders warmen Freund und Mitarbeiter an Georg Neumayer, von dessen Eintritt in die wissenschaftlichen Unternehmungen der deutschen Marine und von dessen Mitwirkung bei der Vorbereitung der überseeischen Venusexpedition ich oben schon erzählte (Foerster, 1911, S. 129).

Am 3. Juni 1873 wurde eine Kommission ernannt, die konkrete Pläne für die Errichtung der wissenschaftlichen Einrichtungen auf dem Telegraphenberg erarbeiten sollte. Foerster sorgte als führendes Mitglied der Kommission dafür, dass Neumayer, wie übrigens auch der Architekt Paul Spieker (1826–1896), in die Kommission kooptiert werden konnten. Aus Zeitmangel war Neumayer zwar an der Teilnahme zu den eigentlichen Sitzungen der Kommission wegen anderer Termine verhindert, aber er fand offensichtlich doch Möglichkeiten sich bei der Gestaltung der neuen Forschungseinrichtung einzubringen:

Und wahrlich, es war keine kleine Angelegenheit, daß nun Neumayer nicht bloß wissenschaftlich, sondern auch an den obersten leitenden Stellen deutsche Kulturpolitik machen half. Höchst verständnisvoll geschah dies auch in den ersten Stadien des Projektes der Sonnenwarte oder des astrophysikalischen Observatoriums, wie das Institut weiterhin benannt wurde (Foerster, 1911, S. 132).

Foerster kam das breitgefächerte Wissen Neumayers sehr gelegen, um seine Pläne zu unterstützen, ein Institut zu gründen, das allumfassend die Erde in ihrer Gesamtheit und dazu auch den Weltraum erforscht, ein Staatsinstitut für Physik des Himmels und der Erde (von Bezold, 1890, S. 73). Dieser Plan wurde durch ein Gutachten der Königlichen Akademie der Wissenschaften allerdings eingeschränkt. Denn darin erachtete man es für unmöglich, dass eine einzelne Person ein solch allumfassendes Institut sinnvoll führen kann und so wurde empfohlen, zunächst nur das Astrophysikalische Observatorium zu gründen.

Trotzdem versuchte dann Foerster, das Forschungsprofil nicht zu eng zu sehen und zumindest erdmagnetische Forschungen mit einzubeziehen, für die er sich schon während seiner Bonner Studientage brennend interessiert hatte. So beteiligte er sich zu Pfingsten 1853 an von Humboldt und Carl Friedrich Gauß (1777–1855) angeregten synchronen Messungen in Bonn (Foerster, 1911, S. 33). Und da ist es wahrscheinlich, dass Neumayer durch Ratschlag auf dem Telegraphenberg helfend eingegriffen hat. Ein Hinweis darauf ist, dass in der Hoffnung auf die Erweiterung des Forschungsprofils vom Astrophysikalischen Observatorium Magnetometer angeschafft wurden, die aber wegen fehlenden Bedarfs dann ungenutzt blieben und zunächst im Keller des fertigen Astrophysikalischen Observatoriums unter der östlichen Kuppel abgestellt wurden (Spieker, 1879, Sp. 39). Weil Neumayer von diesen Geräten wusste, konnte er 1882 für das Erste Internationale Polarjahr erreichen, dass solche in Wilhelmshaven dringend benötigten Geräte leihweise zur Verfügung gestellt wurden. Weiterhin deuten sich Bemühungen Neumayers für erdmagnetische Forschungen in dem Astrophysikalischen Observatorium auf dem Telegraphenberg darin an, dass an sich zwei spezielle Gebäude dafür im südlichen bzw. südwestlichen Teil des Geländes gebaut werden sollten. Das bestätigte Neumayer in einem Vortrag am 25. November 1874, als er von einem bei Potsdam geplanten magnetischen Observatorium sprach.6 Dieser Plan konnte dann durch die von der Akademie der Wissenschaften vorgebrachten Einschränkungen aber nicht realisiert werden (Spieker, 1879, Sp. 38).

6 Neumayer auf dem Telegraphenberg

Während über die Einflussnahme Neumayers auf das Forschungsprofil der Telegraphenberg-Observatorien bisher nur wenig Konkretes bekannt geworden ist, gibt es einige belastbare Informationen für von ihm dort mehrfach eigenhändig durchgeführte erdmagnetische Messungen. So sind in einem Jahresbericht des mit der Leitung beauftragten Triumvirats für das Jahr 1877 diesbezügliche Aktivitäten Neumayers aus dem Verwaltungsbericht der Direktion des astrophysikalischen Observatoriums auf dem Telegraphenberg bei Potsdam für das Jahr 1877, verfasst am 1. Mai 1878, belegt:

Bis zum Anfang des Verwaltungsjahres 1877/78 befand sich auf dem Grundstück des Institutes – abgesehen von der vor einigen Jahren für magnetische Messungen von Dr. Neumayer errichteten und seitdem ungenutzt gebliebenen Holzhütte – war nur ein zu Beobachtungen eingerichtetes Lokal, in welchem der Observator Professor Spörer seit Mitte 1876 seine Sonnenbeobachtungen angestellt hat, die einzige Baulichkeit auf dem Observatoriumsgelände.7

Durch weitere Quellen kann jetzt mehr über Neumayers eigene geomagnetische Messungen auf dem Telegraphenberg ausgesagt werden. Ende Mai 1874 führte er hier erste Feldmessungen unter freiem Himmel und im Juli 1875 geschützt in einer Feldhütte durch, die auf seinen Antrag hin und unentgeltlich aufgestellt worden war (Schwalbe, 1888). Ein größeres Forschungsprojekt ist dabei nicht zu erkennen, es handelte sich immer um Einzelbestimmungen. Diese aus Holz gefertigte Hütte wurde sehr zeitig, d. h. seit Anfang 1875, also vor allen jetzt auf dem Telegraphenberg erhaltenen Gebäuden, als erste Baulichkeit errichtet, zeitgleich zur Anlage des ersten mit Feldsteinen befestigten Weges. Nach der sehr detailliert dokumentierten Planung dieses Weges8 zum Bauplatz des Astrophysikalischen Observatoriums auf der Kuppe des Telegraphenberges entstanden im Jahre 1875 die jeweils einspurige, nur in einer Richtung nutzbare An- und Abfahrt in Form einer asymmetrischen Acht, mit langer, d. h. relativ schwach ansteigender Anfahrt über 536 m und über 350 m kurzer, d. h. schneller Abfahrt. Die Holzhütte musste wegen der für die magnetischen Messungen möglichen Störfaktoren durch den rollenden Verkehr auf dem Wegesystem und durch das zum Abteufen des Tiefbrunnens aufgestellten 8 PS starken Locomobils (Spieker, 1879, Sp. 42) und späteren Pumpen zur Wasserförderung weitab im SW-Teil des Observatoriumsgeländes stehen. Ihre Lage ist in der Karte, und auch schwach in der perspektivischen Ansicht durch von Bezold (1890) und Eschenhagen (1894), aber noch genauer in Hellmann (1912) dokumentiert (siehe Abb. 2). Danach dürfte die Hütte eine Grundfläche von etwa 20 m2 gehabt haben. Mindestens ein steinerner Pfeiler war für die Aufstellung der Messgeräte vorhanden. Man kann davon ausgehen, dass sich Neumayers einschlägige Erfahrungen beim Bau von Messhütten während seiner erdmagnetischen Vermessungen in der Rheinpfalz 1855/56 (von Neumayer, 1905) vorteilhaft ausgewirkt haben. Trotzdem war sie 1889 verschwunden und die Messungen von Max Eschenhagen (1858–1901) (Keil, 1959) am unlängst gegründeten Geomagnetischen Observatorium erfolgten auf einem dort neu gesetzten Sandsteinpfeiler zunächst im Freien. Zum Schutz vor den Unbilden der Witterung wurde ein Jahr später eine eisenfreie Holzhütte mit Asphaltboden darüber gebaut (Eschenhagen, 1894, S. XIII), die bald Alte Hütte hieß, wie sie auch von Neumayer für seine eigenen letzten Messungen am 1. Juni 1891 bezeichnet wurde (Neumayer, 1893, S. 481, vgl. auch Tabelle 1).

https://polf.copernicus.org/articles/91/81/2023/polf-91-81-2023-f02

Abb. 2Einrichtungen zur Untersuchung des Erdmagnetismus auf dem Observatoriumsgelände des Telegraphenberges (nach Hellmann, 1912, graphisch modifiziert von Paech im Jahre 2022).

Tabelle 1Chronologie der Aktivitäten auf dem Telegraphenberg mit Bezug auf erdmagnetische Messungen besonders von Georg Neumayer.

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Eine neue Etappe begann für Neumayer mit seinem Umzug am 10. März 18769 nach Hamburg zur endgültigen Übernahme der Leitung der dortigen Deutschen Seewarte. In der Berliner Zeit hat Neumayer dank seines hohen Engagements so viel Anerkennung gefunden, dass zu seiner feierlichen Verabschiedung am 8. März 1876 im Restaurant Lutze Unter den Linden in Berlin immerhin 150 Personen erschienen. Nach dem obligatorischen Toast auf den Kaiser, ließ es sich Foerster nicht nehmen, auf Neumayer einen längeren Toast auszubringen, der mit vielen biographischen und humorvollen Details seinem Freund hohe Anerkennung zollte, aber nicht verschwieg, dass Neumayer in der Berliner Zeit auch herbe Enttäuschungen aushalten musste:

Es blieb ihm auch das bittere Geschick nicht erspart, daß der Mann welcher in der Zwischenzeit den hingeworfenen Gedanken weiter entwickelt und eine Art von Seewarte gegründet hatte, als er nun selbst nahe am Ziel aller seiner tüchtigen Bestrebungen war, sich selbst es versagte an der weiteren Arbeit dieses Instituts theilzunehmen und daß dadurch auf die edle Gestalt unseres Neumayer schwere Schatten der Verkennung fielen.10

Diese Schatten auf Neumayers Ansehen beziehen sich offensichtlich auf die Umwandlung der von dem Reichstagsabgeordneten Wilhelm von Freeden (1822–1894) im Jahre 1868 privat in Hamburg gestifteten, zunächst Norddeutschen dann Deutschen Seewarte in ein Reichsinstitut, was nicht reibungslos vonstattenging. Offensichtlich hatte Neumayer deswegen schon in der Anfangsphase im April 1874 auf den Direktorenposten verzichtet.11 Wer ihn dann letztendlich umgestimmt hat, verrät die Allgemeine Zeitung nicht, aber sie warb mehrfach dafür.12 In den Zeitungen wurde zunächst von Freeden als designierter Direktor genannt.13 Am 14. Dezember 1874 beschloss der Reichstag die Gründung der Deutschen Seewarte einschließlich der Bereitstellung der dazu notwendigen Finanzmittel für das nächste Jahr.14 Offiziell wurde die Ernennung des Direktors noch offen gelassen,15 aber am 18. Januar 1875 Neumayer als künftiger Leiter der Seewarte erwähnt. Das ist der Moment, an dem von Freeden einen zornigen Brief veröffentlichte und darin dem seefahrenden Volk mitteilte, dass er unter diesen Umständen seine Ambitionen zur Leitung der Seewarte aufgäbe.16 Schon seit Februar 1875 war Neumayer dann kommissarisch mit der Profilierung der Seewarte in Hamburg befasst, was sicher bedeutete, dass er seine Berliner Aktivitäten zurückschrauben musste. Dafür war er in Hamburg umso aktiver und erfolgreicher. Erst am 13. Januar 1876 war er zum Leiter der mit Jahresbeginn offiziell gegründeten Deutschen Seewarte17 mit dem Range eines Rathes 3. Klasse berufen worden, verbunden mit der Ernennung zum Wirklichen Admiralitätsrath.18

7 Erstes Internationales Polarjahr 1882–1883

Nach der Berliner Zeit hat sich Georg Neumayer noch lange dem Telegraphenberg verbunden gefühlt, was sich auch in seinen schon erwähnten eigenen erdmagnetischen Messungen dort am 1. Juni 1891 ausdrückt (Neumayer, 1893). Das zeigte sich ebenso in Neumayers Bemühungen der direkten Einflussnahme auf das von Potsdamer Seite mitgetragene Expeditionsgeschehen beim Ersten Internationalen Polarjahr 1882/83, wenn auch nicht immer mit dem von ihm erwünschten Erfolg. Die Planung des Polarjahres war an sich durch die mögliche Einflussnahme von Otto von Bismarck (1815–1898) erschwert. Denn während die Kaiserliche Admiralität mit dem Hydrographischen Bureau Neumayers dem deutschen Kaiser direkt unterstellt war, musste bei Unternehmen der Hamburger Seewarte die Zustimmung Bismarcks eingeholt werden (Krause, 2008, S. 24–29). So konnte die Organisation des Ersten Internationalen Polarjahres 1882/1883 durch Neumayer erst aktiv in Angriff genommen werden, als der Reichskanzler endlich mit Schreiben vom 14. September 1881 seine ablehnende Haltung gegenüber dem Unternehmen aufgegeben hatte (Krause, 2008, S. 30). Der Arbeitsaufwand dafür war enorm, der sich auch in dem umfangreichen Briefverkehr, darunter mit Potsdam, widerspiegelt:

Bei der Durchsicht des Konvoluts von Briefen, Briefentwürfen und anderen Papieren zum ersten “Polarjahr” – darunter befinden sich auch Schriftstücke aus Potsdam und Göttingen – ahnt man, welch' riesige Organisationsarbeit von Neumayer und den Mitarbeitern in der Seewarte zu bewältigen war (Schröder und Wiederkehr, 1992, S. 374).

Das Potsdamer Astrophysikalische Observatorium beteiligte sich trotz intensiver Bemühungen von Neumayer nicht aktiv an Forschungen dieses Polarjahres, aber wenigstens wurden auf Neumayers Vermittlung hin die auf dem Telegraphenberg vorhandenen und ungenutzten, photographisch registrierenden Geräte für synchrone erdmagnetische Registrierungen Wilhelmshaven leihweise zur Verfügung gestellt (Börgen, 1886, S. 360). Und Neumayer konnte den unlängst berufenen Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums Prof. Vogel davon überzeugen, dass dessen während dieses Polarjahres auf dem Telegraphenberg gesammelten Daten zur Sonnenflecken-Aktivität und die Messungen der Erdströme im Abschlussband mit veröffentlicht wurden (Neumayer, 1891, S. 197).

8 Deutsche Südpolar-Expedition 1901–1903

Den meisten Bezug Neumayers zum Telegraphenberg gibt es zur Deutschen Südpolar-Expedition 1901–1903, geleitet von Erich von Drygalski (1865–1949), der vom 1. Oktober 1888 bis 31. März 1891 am damals noch in Berlin ansässigen, aber teilweise in Potsdam schon agierenden Geodätischen Institut ohne feste Anstellung, besonders bei Rechenarbeiten, selten bei Feldbeobachtungen, eingesetzt war (Helmert, 1889, 1891). Die Vorbereitungen zu dieser Expedition begannen schon über 5 Jahre vorher, nämlich im April 1895 auf dem elften Deutschen Geographentag zu Bremen. Neumayer beteiligte sich auch an der Planung der Expedition, war aber anfangs resigniert darüber, dass er bisher trotz der von ihm geleisteten großen Anstrengungen seiner Meinung nach zu wenig für die Südpolar-Forschung erreicht habe:

Als an mich die Aufforderung erging […] einen Vortrag über die wissenschaftliche Südpolarregion zu halten, fühlte ich mich geneigt […] mich ablehnend zu verhalten. Es ist das Gefühl, welches mich dabei bestimmte, erklärlich, wenn man erwägt, dass ich nun seit mehr als 40 Jahren bemüht war, diesen wichtigen Gegenstand zu fördern ohne einen wesentlichen Erfolg erzielt zu haben (Neumayer, 1896a, S. 13).

Aber dann setzte sich Neumayer doch mit seiner ganzen Autorität für das Unternehmen ein, wenn auch jüngere mit eigenen Erfahrungen in Polargebieten das einzuschlagende Forschungsprofil schon mitgestalten wollten und das auch nach und nach erreichten.

Leitendes Organ der deutschen Südpolar-Forschungen waren zunächst Gremien, die sich auf Deutschen Geographentagen konstituierten. Die Geographentage fanden seit 1881 fast jährlich auf großen Konferenzen mit mehreren hundert Teilnehmern statt: 1881 erster Geographentag in Berlin, 1882 zweiter in Halle, 1883 dritter in Frankfurt a. M., 1884 vierter in München, 1885 fünfter in Hamburg, 1886 sechster in Dresden, 1887 siebenter in Karlsruhe, 1889 achter in Berlin, 1891 neunter in Wien, 1893 zehnter in Stuttgart, 1895 elfter in Bremen, 1897 zwölfter in Jena, 1901 dreizehnter in Breslau, 1903 vierzehnter in Köln, 1905 fünfzehnter in Danzig. Hier waren regelmäßig die Leiter der wissenschaftlichen Einrichtungen der Geodäsie und Geomagnetik, auch schon vor deren Einzug auf dem Telegraphenberg, vertreten und ebenso der Astronom Foerster aus Berlin. Auf dem Bremer Geographentag 1895 hielten sowohl Neumayer (Neumayer, 1896a) mit seiner oben wiedergegebenen etwas resignierenden Einleitung als auch von Drygalski (von Drygalski, 1896), der spätere Expeditionsleiter, Vorträge mit ähnlicher Thematik zur Südpolarforschung (Lüdecke, 2015a, S. 435). Daraufhin wurde auf der Tagung ein Antrag zur Bildung einer Deutschen Kommission für Südpolar-Forschung gestellt und durch ein Votum der Geographentagsteilnehmer bestätigt. Am 19. April 1895 konstituierte sich dieser Ausschuss mit Georg Neumayer als Vorsitzenden und später insgesamt 26 Mitgliedern, darunter mit Bezug zum heutigen Potsdam von Drygalski, Gustav Hellmann (1854–1939), Johann Friedrich von Bezold (1837–1907), Karl von den Steinen (1855–1929) (Kollm, 1896, S. XXXV u. a.). Der berufliche Werdegang von von den Steinen war durch große Vielfalt gekennzeichnet. Zunächst war er nach Abschluss seines Medizinstudiums (mit 20 Jahren damals jüngster Dr. med. Deutschlands) Teilnehmer der Expedition nach Süd-Georgien im Ersten Internationalen Polarjahr 1882/83, promovierte 1883 zum Dr. phil. mit Ergebnissen von zoologischen Studien in Süd-Georgien. Danach führte er in den folgenden 1880er Jahren selbst heute noch hoch bewertete ethnologische Studien (darunter auch linguistische) im Xingu-Gebiet (Schingú bei von den Steinen, 1894) Brasiliens durch. Später beteiligte er sich als Mitarbeiter ab 1900 als berufener außerordentlicher Professor für Ethnologie (Althoff, 2018, S. 557) am Aufbau des Berliner Völkerkunde-Museums (Coelho, 1993). Er hatte zeitweise seinen Wohnsitz in Neu-Babelsberg, das seit 1939 nach Potsdam eingemeindet ist.

Diese Kommission stellte sich folgenden Aufgaben: Propagierung der wissenschaftlichen Notwendigkeit einer Deutschen Südpolar-Expedition, Ausarbeitung eines Arbeitsplanes und Sammeln von Spenden. Die zusätzliche Finanzierung der Expedition sollte nämlich durch Sponsoren gesichert werden. Erste Geldspenden von Teilnehmern des Geographentages wurden noch in Bremen angeboten. Zur Propagierung der Wichtigkeit von Südpolar-Expeditionen wurden, besonders von Neumayer und von Drygalski, zu unterschiedlichsten Anlässen überall in Deutschland Vorträge gehalten, die Manuskripte dazu vervielfältigt, eine neue Karte der Antarktis zusammengestellt und die 1500 Exemplare großzügig verteilt (Kollm, 1896, S. 18/19). Ein Geschäftsbüro zur Bewältigung der Büroarbeiten wurde eingerichtet und so vielfältig für Spenden geworben. Uber die wissenschaftlichen Ziele und die Logistik der Expedition bekam die Öffentlichkeit anfangs kaum Informationen. Der Grund hierfür waren die unterschiedlichen Meinungen der jüngeren Generation, vertreten durch von Drygalski, gegenüber der des Kommissionsvorsitzenden Georg Neumayer (Lüdecke, 1990). So war beim nächsten, zwölften Deutschen Geographentag zu Jena 1897, der Fortschrittsbericht der Kommission insgesamt ernüchternd: Spendenaufkommen nicht ausreichend, Auswahl des Expeditionsleiters nicht entschieden und Ausarbeitung des Forschungsprogramms vertagt, weil sie dem designierten Leiter vorbehalten bleiben sollte (Neumayer, 1897).

Was die Programmgestaltung bezüglich internationaler Kooperation anbelangt, stellte sich auch nicht gleich ein sichtbarer Erfolg ein. Denn noch 1895 fand im Sommer zwar in London der VI. Internationale Geographenkongress statt, an dem Neumayer auch einen viel beachteten Vortrag hielt, allerdings teilweise in Deutsch (Neumayer, 1896b). Er wurde sogar in der preußischen Presse als bedeutsam erwähnt jedoch mit dem Schönheitsfehler, als von arktischen Regionen geschrieben wurde.19 Dabei legte Neumayer aus einer sorgfältigen Analyse der bisher vorliegenden Ergebnisse seine eigenen Vorstellungen der späteren Deutschen Südpolar-Expedition dar. Recht vorsichtig deutete er auch den Vorteil von internationaler Zusammenarbeit an, denn gleichzeitig waren jeweils eine britische, französische und nordamerikanische Antarktisexpedition in Vorbereitung (Keltie and Mill, 1896, S. 161). Es wurde am Schluss des Geographenkongresses dann allerdings nur eine Resolution ganz allgemeinen Inhalts zur Wichtigkeit von Südpolar-Forschung formuliert. Der Ethnologe von den Steinen hatte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Berliner Geographischen Gesellschaft diese Resolution eingebracht, der natürlich auch zugestimmt wurde (Keltie and Mill, 1896, S. 176; Kollm, 1897, S. 17). Der Chairman des Kongresses Sir Clements Markham (1830–1916) erreichte aber immerhin zur Forcierung der internationalen Zusammenarbeit die Bildung eines Komitees, dem auch Neumayer und von den Steinen dann angehörten (Keltie and Mill, 1896, S. 780).

Konkreter wurde es dann im Februar 1898. Neumayer erhielt eine Einladung zu einem Treffen der Royal Geographical Society nach London am 14. Februar (Kollm, 1901, S. 8), wie auch Fridtjof Nansen (1862–1930), der nach seiner erfolgreichen Framdrift durch das Nordpolgebiet begeisterte Aufnahme fand. Die Entscheidung über die Leitung der Deutschen Südpolar-Expedition war immer noch nicht gefallen. Neumayer favorisierte offensichtlich als Leiter auch Nansen, den er vermutlich bei diesem Treffen 1898 daraufhin ansprach, Nansen lehnte aber ab, weil er nur unter norwegischer Flagge segeln könne (Lüdecke, 1995, S. 33, Fußnote 136). Ein paar Tage später habilitierte von Drygalski mit der Antrittsvorlesung Die Aufgaben der Polarforschung in Berlin,20 was zwar keine Voraussetzung für die drei Tage später auf einer Kommissionssitzung in Leipzig erfolgte Ernennung von Drygalskis zum Leiter der Deutschen Südpolar-Expedition (Kollm, 1901; Lüdecke, 2015a, S. 437) war, aber ihm erhöhte Reputation verlieh und für die nun erforderliche umfangreiche Expeditionsplanung mehr Zeit blieb. Zudem konnte von Drygalski einschlägige Polarerfahrungen aufweisen, denn er hatte in Grönland schon 1892/1893 überwintert, wozu er ein Jahr vorher eine Vorexkursion unternommen hatte (Helmert, 1891). Diese neue Einflussmöglichkeit von Drygalskis wurde nicht gleich von Neumayer vollkommen akzeptiert, was so beschrieben wird:

Drygalski lobt die begeisternden Reden von Neumayer, beklagt aber, dass wenn die eigentlichen Ausführenden praktische Vorschläge machten, er uneinsichtig war und diese sogar mit Eifer bekämpfte (von Drygalski, 1904, S. 11, zitiert in Kertz, 1983, S. 97).

Sie arbeiteten nunmehr mehr parallel zueinander. Von Drygalski nahm im April 1898 mit der Nautischen Abteilung des Reichsmarineamtes Kontakt auf, im Hinblick auf die Finanzierung seiner Expedition durch den Marineetat (Lüdecke, 2015b, S. 16, Endnote 53). Außerdem absolvierte von Drygalski im April/Mai 1898 in München allein ein Propagandaunternehmen, verbunden mit Privataudienz beim bayerischen Prinzregenten, und dann am 13. Mai ein Vortragsprogramm im großen Rathaussaal in Anwesenheit von Vertretern der preußischen Regierung und des kaiserlichen Marineamtes in Berlin. Neumayer hatte nur eine Grußbotschaft geschickt.21 Die bayerischen Medien fanden den Vortrag so wichtig, dass er in vollem Wortlaut publiziert wurde.22 Bei einer anderen Vortragsveranstaltung mehrerer Gesellschaften in der Berliner Kroll-Oper am 16. Januar 1899 hörten sich 1300 Personen den Vortrag von Drygalskis an. Es wurde hervorgehoben, dass Neumayer an der Teilnahme leider verhindert war.23

Auf der anderen Seite engagierte sich Neumayer anderweitig für das gemeinsame Anliegen. Als Vorsitzender der Kommission für Südpolar-Forschung schickte er am 20. Juli 1898 ein Immediatschreiben der Anrede Allerhochlauchtigster, Großmächtigster Kaiser und König, Allergnädigster Kaiser, König und Herr mit der Bitte um eine Finanzhilfe von 800.000 Mark für die Deutsche Südpolar-Expedition (Kollm, 1901, S. 13–23), denn das Spendenaufkommen war offensichtlich immer noch vollkommen unzureichend. Als Reaktion auf diese Bitte kann angesehen werden, dass sich der Reichstag Ende 1898 mit der Südpolar-Forschung beschäftigte und vage andeutete, dass die notwendigen Finanzen aufgebracht werden könnten.24 Begünstigend für diese und weitere positive Reaktionen dürften auch die öffentlichen Ankündigungen gewesen sein, dass ein Kaiser-Wilhelm-Land im Süden entdeckt werden könne, wie der Militär, Polarforscher und auch Künstler Julius von Payer (1841–1915) das ausgeführt hatte.25

Die Verantwortung für die Expeditionsvorbereitung war im Januar 1899 an das Reichsamt des Innern übergegangen (Schilling, 2016, S. 161) und im Reichstag befürwortete schon ein Abgeordneter den Expeditionsplan (Lüdecke, 2015b, S. 20, Endnote 64). Die endgültige Entscheidung im Reichsamt über die Einberufung eines Beirates fiel dann im April 1899 (Lüdecke, 2015b, S. 20, Endnote 69), worüber Neumayer als Vorsitzender der Kommission für die deutsche Südpolar-Forschung informiert wurde. Das teilte er deren Mitgliedern in einem Schreiben am 5. Mai 1899 mit (Kollm, 1901, S. 24). Wahrscheinlich war dies die letzte relevante Amtshandlung Neumayers als Vorsitzender der Kommission, die sich nämlich beim nächsten Geographentag 1901 in Breslau auflöste. Höchstes Organ war nun das Reichsamt des Innern, geleitet durch den Staatsminister Dr. Arthur Adolph Graf von Posadowsky-Wehner (1845–1932), der gleich am 6. Mai 1899 Wissenschaftler zur Bildung eines wissenschaftlichen Beirates einlud. Unter den 26 Teilnehmern waren mit Potsdam-Bezug: von Bezold, von Drygalski, Friedrich Robert Helmert (1843–1917), Neumayer, und später wurden noch in den Beirat berufen Eschenhagen, Hellmann sowie Adolf Schmidt (1860–1944) aus Gotha,26 der nach dem Tod von Eschenhagen ab 1902 das Geomagnetische Observatorium auf dem Telegraphenberg übernahm. In diesem Beirat sollte für 10 Themen durch je einen Referenten und ihm untergeordneten Korreferenten in einer Denkschrift das Programm der Expedition entworfen werden (z. B. Subkommission für Erdmagnetismus: Neumayer als Referent, von Drygalski, Eschenhagen und Schmidt als Korreferenten), um dann zum VII. Internationalen Geographen-Kongress Anfang Oktober 1899 mit 1665 Teilnehmern im unlängst erbauten Preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin auch international abgestimmt zu werden. Die aktivsten Teilnehmer waren hier von Drygalski und Nansen. Neumayer äußerte sich bei dem Kongress offensichtlich nicht zur Südpolar-Forschung sondern brachte einen anderen Vorschlag ohne Bezug zur Südpolarforschung ein, nämlich die Suche nach den seit 50 Jahren vermissten Teilnehmern der Leichhardt-Expedition in Australien wieder aufzunehmen.27 Der englische Vertreter Sir Clements Markham, Präsident der Royal Geographical Society in London, hatte sich schon voll für eine Kooperation in Antarktika ausgesprochen. So wird dann der von von Drygalski vorgeschlagene Beschluss natürlich angenommen:

Der Kongreß nimmt von der für die Erforschung des Südpolargebiets in den erstatteten Berichten vorgeschlagenen Arbeitsleistung Kenntniß und theilt die Erwartung, daß dadurch eine zweckmäßige Grundlage für die internationale Kooperation bei den physisch-geographischen, geologischen, geodätischen und biologischen Forschungen gegeben ist. Für die meteorologisch-magnetischen Arbeiten erklärt der Kongreß nähere Vereinbarungen für wünschenswerth (Lüdecke, 1995, S. 128, Fußnote 49).

Zu von Drygalskis Vorschlag fand am 24. November 1899 im Reichsamt des Inneren ein Treffen statt. Nach dem darüber erhaltenen Protokoll, haben fast alle anwesenden wissenschaftlichen Mitglieder der Subkommission für Meteorologie und Erdmagnetismus aktiv zur erdmagnetischen Programmgestaltung der Expedition beigetragen. Nur der auch teilnehmende Neumayer hat dabei keinen nennenswerten Beitrag erbracht.28 Der Status von Neumayer war in diesem Stadium davon gekennzeichnet, dass man stets sein 40-jähriges außergewöhnliches Engagement für die Südpolar-Forschung würdigte, aber die wissenschaftliche Vorbereitung und Durchführung der Deutschen Südpolar-Expedition nun weitgehend in die Hände der nächsten Generation unter Leitung von von Drygalski übergegangen waren. Zudem übernahm das Reichsamt des Innern die Koordinierungsaufgaben, wozu ein spezielles Büro der deutschen Südpolar-Forschung in der Berliner Wilhelmstraße 74 eingerichtet wurde.29

9 Potsdamer Telegraphenberg und Erste Deutsche Südpolar-Expedition

Die geänderten Einflussmöglichkeiten Neumayers bei der Vorbereitung der Deutschen Südpolar-Expedition zeigten sich auch bei der Einbeziehung der Wissenschaftler und wissenschaftlichen Einrichtungen des Potsdamer Telegraphenberges. Er hatte die Grundlage geschaffen, die praktische Ausgestaltung besorgte nun die jüngere Generation. Zwei Institutionen des Telegraphenberges, das Geodätische Institut und das Meteorologisch-Magnetische Observatorium, leisteten da wichtige Unterstützung, und das gemeinsam, obwohl sie verschiedenen Staatseinrichtungen subordiniert waren. Das Königlich Geodätische Institut war dem Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten, das Meteorologisch-Magnetische Observatorium dem Königlich-Preußischen Statistischen Bureau unterstellt.

Ein wichtiges Anliegen war hierfür die wissenschaftliche Ausbildung der Expeditionsteilnehmer, die zunächst im Plan für ein ganzes Jahr, dann aber auf die Hälfte gekürzt, seit April 1900 bis kurz vor Beginn der Abreise etappenweise lief für: Geophysiker Friedrich Bidlingmaier (1875–1914), Geophysiker Karl Luyken (1874–1947), 2. Offizier des Gauß (diese Schiffsbezeichnung war damals männlich), Ludwig Ott (1876–?), Apotheker Emil Werth (1869–1958) (von Drygalski, 1904; Fritzsche, 1992). Ein Ziel dieser Schulungsmaßnahmen, an denen auch andere, für weitere Teilnehmer, nicht-geowissenschaftliche Einrichtungen abseits des Telegraphenberges einbezogen waren, galt zur Optimierung der Anzahl der Expeditionsteilnehmer einer möglichst multidisziplinären Ausbildung. Eine weitere Unterstützung für die Deutsche Südpolar-Expedition seitens der Einrichtungen des Telegraphenberges war die Bereitstellung von Messgeräten (Fritzsche, 1992, S. 157), teils auch leihweise an die englische Polarexpedition von Robert Falcon Scott (1868–1912) und die Vorfertigung von transportablen Hütten.

Außerdem mussten die Messmethoden mit den anderen, zeitgleich ablaufenden internationalen Expeditionen aufeinander abgestimmt werden. So weilten Ernest Shackleton (1874–1922) und Louis Bernacchi (1876–1942) im Jahre 1901 zur Absprache auf dem Telegraphenberg (Fritzsche, 1992, S. 159). Wenn auch nicht mit der Deutschen Südpolar-Expedition direkt zusammenhängend aber zeitgleich mit dieser erfolgend, soll daran erinnert werden, dass sich Roald Amundsen (1872–1928 verschollen) im Herbst des Jahres 1900 bei Neumayer Rat holte und dazu einen längeren Aufenthalt im Oktober in Hamburg nahm (Herrmann, 1937, S. 421). Amundsen als bescheiden auftretender Gast beschrieb Neumayer als sehr aufgeschlossen und freundschaftlich, so dass er ihn sein ganzes Leben verehrte und dessen Foto mit der Widmung Herrn Roald Amundsen zur freundlichen Erinnerung an seinen Aufenthalt an der Seewarte (1. Oktober bis 15. November 1900) (Herrmann 1937, S. 421) in seinem Zimmer neben dem von Nansen hängen hatte. Nach dem Hamburger Aufenthalt fuhr Amundsen durch Vermittlung Neumayers auch für kurze Zeit nach Potsdam (Cox, 2011, S. 63). Bei einem längeren Aufenthalt im Jahre 1902 in Potsdam erfolgte dann am Magnetischen Observatorium die eigentliche Einweisung für die Polarfahrt mit der Gjöa durch die Nordwest-Passage 1903–1907 (Schmidt, 1912, S. 41).

Ein wichtiges Ziel der international verabredeten Südpolarforschung waren synchrone Beobachtungen zur Vermessung des globalen Erdmagnetfeldes, die neben den wissenschaftlichen Fragestellungen für die Navigation in der damaligen Zeit hohe praktischer Bedeutung hatten. Hierzu mussten an Termintagen zu genau dem gleichen Zeitpunkt (Greenwich-Zeit) vergleichbare Messungen an vielen Lokalitäten der Erde durchgeführt werden. Und dabei war das Magnetische Observatorium auf dem Telegraphenberg als Basisstation voll integriert. Eine wichtige Person war in diesem Zusammenhang zweifellos Eschenhagen, der seit 1889 Leiter des Magnetischen Observatoriums auf dem Telegraphenberg war. Er hatte schon lange Zeit Kontakt zu Neumayer. Durch dessen Vermittlung konnte er im Reichskommissariat die im Polarjahr 1882/1883 gewonnenen erdmagnetischen Messungen auswerten (Neumayer, 1891, S. IV). Ab 1883 war Eschenhagen am Marine-Observatorium in Wilhelmshaven angestellt, von wo aus er mit Neumayer im Juli 1887 gemeinsam erdmagnetische Messungen im nahen Gelände ausführte (Neumayer, 1893, S. 471). So ist es nicht verwunderlich, dass Neumayer ihn auf dem Karlsruher Geographentag 1887 mein junger Freund nannte (von Kienitz, 1887, S. 122).

Eschenhagen wurde gleich im Mai 1899 bei Gründung Mitglied des Subkommission Meteorologie und Erdmagnetismus der Deutschen Südpolar-Expedition und hatte auf die Programmgestaltung große Einflussmöglichkeiten. Die scheinen aber durch seinen angeschlagenen Gesundheitszustand eingeschränkt gewesen zu sein. So erklärt es sich, dass die Programmabstimmung auch international von Bidlingmaier während dessen Einarbeitungszeit auf dem Telegraphenberg vorgenommen wurde (Fritzsche, 1992, S. 159) und auch die baldige Berufung von Schmidt im Mai 1899 in die Subkommission könnte dadurch erklärt werden.

Nach den Festlegungen für die Deutsche Südpolar-Expedition wurden auf dem Telegraphenberg aus Sicherheitsgründen dafür zwei zeitgleich laufende, voneinander unabhängige erdmagnetische Messprogramme zumindest vom 1. Februar 1902 bis 1. Februar 1903 an den Termintagen (Bidlingmaier, 1901), d. h. jeweils am 1. und 15. jeden Monats, mit erheblichem Aufwand durchgeführt, wozu zusätzlich Neumayers Alte Hütte einbezogen war. Sie wurde auch auf besonderen Wunsch der englischen Expedition, die von Scott geleitet war, über die Expeditionszeit hinaus in den Monaten September bis Dezember 1903 für Messungen genutzt (Nippoldt, 1909, S. XXVI). Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass das internationale Programm insgesamt bis 1904 verlängert worden war (Lüdecke, 2013).

10 „Telegraphenberg“ auf den Kerguelen

Auf den Kerguelen-Karten der Deutschen Südpolar-Expedition (Werth, 1906, Karten im Anhang) sind Bezeichnungen Telegraphen-Berg oder Telegraphenbg. bei etwa 492550′′ S und 695355′′ E vermerkt. Da drängt sich die Frage auf, ob damit an den gleichnamigen Berg in Potsdam erinnert werden sollte. Einige der Expeditionsteilnehmer waren hier ausgebildet, Messgeräte gebaut und Expeditionsgut wie Feldhütten vorgefertigt worden. In anderen Kerguelen-Karten findet sich allerdings meist kein solcher Eintrag. Nur Mawson (1934) verzeichnete den Mt. Telegraph in seiner Karte. Vorhandene geographische Bezeichnungen auf dieser Inselgruppe blieben auf späteren Karten überhaupt recht häufig unberücksichtigt. Gründe dafür könnten Nachlässigkeit aber auch miteinander wetteifernde nationale Interessen sein. Insgesamt sind die Kerguelen ein Eldorado zur Vergabe von geographischen Namen, an der sich auch schon die deutsche Gazelle-Expedition zur Beobachtung des Venusdurchgangs am 8. Dezember 1874, aber ausschließlich im Westteil der Insel, beteiligte. So fehlen die dabei vergebenen Namen später in nicht-deutschen Karten vollkommen, was aber verständlich ist, denn geehrt waren: Bismarck, Prinz Adalbert von Preußen, Roon, und andere hohe politische Vertreter des deutschen Kaiserreichs (Anonymus, 1876, S. 365). Aber ebenso ist leider Kap Neumayer (Reichs-Marineamt, 1889, S. 125) wieder verschwunden.

Theoretisch denkbar ist die Vergabe des Namens Mt. Telegraph (Mawson, 1934) auch bei den britischen Beobachtungen des Venusdurchgangs im Jahre 1874, die in einer Hütte an der Stelle der späteren Station der Ersten Deutschen Südpolar-Expedition erfolgten (Holzner, 2009, S. 61). Eine Veröffentlichung mit beigegebener Kartenskizze (Perry, 1881, S. 404) beweist nun aber, dass 1874 durch die englischen Astronomen keine neuen geographischen Namen vergeben wurden und der Begriff Telegraphenberg aus einer späteren Zeit stammen muss.

Somit ist klar, dass der Name „Telegraphenberg“ auf den Kerguelen bei der Deutschen Südpolar-Expedition in Erinnerung an den Potsdamer Berg gleichen Namens vorgeschlagen worden ist. Es ist ein außergewöhnlicher Vorschlag, denn normalerweise wurden entweder die Namen der beteiligten Forschungsschiffe verwendet und dann vor allem der vielen in das Expeditionsgeschehen irgendwie einbezogenen Personen gedacht. Das wurde für die Kerguelen extensiv genutzt in Karten und darüber hinaus auch im Text der Veröffentlichungen. Kaum jemand geriet dabei in Vergessenheit: Vertreter des Kaiserhauses und des Deutschen Reichsministeriums des Innern, fast alle Teilnehmer der Expedition einschließlich der Schiffscrew, Repräsentanten der beteiligten Wissenschaften, besonders die des Potsdamer Telegraphenberges wie in Bezold-Dom, Hellmann-Sp. (beide nach Mitarbeitern vom Meteorologischen Observatorium), Eschenhagen-See (nach Mitarbeiter vom Magnetischen Observatorium), und Helmert-B. (nach Mitarbeiter vom Geodätischen Institut), deren namentliche Berücksichtigung nochmals die Wertschätzung der Verantwortlichen des Potsdamer Telegraphenberges durch die erste Deutsche Südpolar-Expedition unterstreicht. Hierzu ist auch die Neubenennung Neumayer Sp. zu rechnen, die ergänzend zum Neumayer Kap von 1874 die Verdienste von Georg Neumayer für das Zustandekommen der Expedition würdigte.

11 Neumayers Verehrung für den „Naturforscher, Geographen und deutschen Schriftsteller“ Georg Forster

Zur Einschätzung von Wissenschaftlern gehört auch deren Meinung zu Fachkollegen, die sich als Rivalen sehen könnten. In diesem Zusammenhang sind hier die Äußerungen Neumayers als Namensgeber der bundesdeutschen Antarktisstation zum Nestor der Südpolarforschung Georg Forster (1754–1794) von besonderem Interesse. Dieser war auch Namensgeber einer deutschen Antarktisforschungsstation. Und dieser Name Antarktisstation Georg Forster wurde 1987 für einen schon 1976 aufgestellten Forschungskomplex in der Schirmacher-Oase (Königin-Maud-Land) gründlich auf dem Potsdamer Telegraphenberg eruiert (Paech, 1992, S. 199).

Angaben zu Neumayers Meinung über Georg Forster sind nicht umfangreich, aber sie erlauben trotzdem eine objektive Einschätzung. Die wichtigsten Daten dazu lieferte Neumayer selbst, denn er hielt anlässlich des 100sten Todestages von Forster am 1. März 1894 in der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig, also nahe dem Geburtsort Forsters, einen detailreichen Vortrag, der in der Lokalpresse gleich Beachtung fand30 und später ausführlich referiert vorliegt (Anonymus, 1896). Politisch waren die beiden Namensgeber der beiden deutschen Antarktisstationen grundverschieden. So meinte der Royalist und Nationalist Neumayer, dass Forster selbst Schuld trage, dass er nach seinem Tode zunächst in Vergessenheit geriet. Das sei bedingt durch dessen kosmopolitischen Republikanismus und sein Hervortreten während der Französischen Revolution. Beides sind aber heutzutage für uns ausgesprochen fortschrittliche Wesenszüge Forsters.

Bei der fachlichen Einschätzung lobte demgegenüber Neumayer seinen als “Naturforscher, Geographen und deutschen Schriftsteller“ bezeichneten Fachkollegen in den höchsten Tönen als Ausnahmewissenschaftler: der schöne Stil und edle Ausdrucksweise in den Veröffentlichungen, deren Anregung für eigene Forschungen, die prägende Belehrung des jungen Alexander von Humboldt bei der gemeinsamen Reise zum Niederrhein und die Sprachbegabung Forsters, um nur einiges zu nennen. Auch verteidigte Neumayer sein Vorbild wegen der vielen unberechtigten Verleumdungen gegenüber Forster ganz vehement.

Die verehrende Einstellung Neumayers zu Forster wird auch in einer zeitgenössischen Zusammenstellung belegt. Neumayer hatte nämlich in seinem Zimmer Portraits sowohl von Georg Forster als auch dessen Vater hängen (Schiefler, 1985, S. 85 übernommen in Behnke, 2011, S. 190).

12 Schlussbemerkung

Die in diesem Beitrag beschriebenen Bemühungen Georg Neumayers mit den wissenschaftlichen Einrichtungen auf dem Potsdamer Telegraphenberg zu kooperieren, waren mannigfaltig. Sie begannen im Jahre 1874 bei der Gründung der Observatorien zunächst auf dem Gebiet des Erdmagnetismus, wo ihm zwar eine Holzhütte als provisorische Messstation zur Verfügung gestellt wurde, aber die zunächst geplanten zwei Observatoriumsgebäude zum Aufstellen der Magnetometer baute man dann doch nicht. Das geschah erst im Jahre 1889 ohne Mitarbeit von Neumayer mit Gründung des Geomagnetischen Observatoriums. Sein bald als Alte Hütte bezeichneter Holzbau blieb aber erhalten und hin und wieder hat Neumayer dort auch bis 1891 gemessen, aber nur sporadisch.

Schon lange vor seiner Potsdamer Zeit hatte sich Neumayer für die Durchführung von Südpolarforschungen ausgesprochen. Er war ein brillanter Redner und ließ keine Gelegenheit aus, für diese Forschungsrichtung mit ganzer Hingabe zu werben, auf dem Telegraphenberg aber mit mäßigem Erfolg. Bei der Vorbereitung des Ersten Internationalen Polarjahres 1882/1883 erreichte er keine aktive Kooperation sondern nur die Ausleihe der im Astrophysikalischen Observatorium ungenutzt herumstehenden Magnetometer. Das war allerdings auch wichtig im Hinblick auf die an verschiedenen Punkten der Erdoberfläche vorgenommenen Registrierungen. Und das war überhaupt ein großer Verdienst von Neumayer, dass er die Wichtigkeit von synchron gewonnenen Messdaten erkannt und viel Engagement dafür aufgebracht hat.

Bei der Deutschen Südpolar-Expedition 1901–1903 war die internationale Kooperation mit den britischen, norwegischen und schottischen Antarktisexpeditionen ideal gelungen. Aber der Beitrag Neumayers dazu war minimal, die neue Generation von Polarforschern unter der Leitung von Drygalskis war nicht zuletzt wegen eigener Erfahrungen bei Forschungen in Polargebieten befähigt, selbst eine Antarktisexpedition zu planen und durchzuführen. So hat Neumayer bei Vorbereitung der Expedition, besonders bei praktischen Fragen, der jüngeren Generation den Vortritt lassen müssen. Er war aber fair genug, nach Abschluss der Expedition die erfolgreiche Forschungsarbeit der Jungen besonders lobend hervorzuheben:

Ich war erstaunt – doch das kann ich nicht sagen, da ich nichts anderes erwarten konnte als vorzügliche Leistungen Deutscher Gelehrter auf wissenschaftlichen Gebiet, – vielmehr hocherfreut über die Fülle des Neuen, das uns geboten wurde und noch zu erwarten steht, wenn erst die Ausarbeitungen vollendet sein werden (wiedergegeben in Lüdecke, 1995, S. 23, Fußnote 23).

Neumayers nachlassender Einfluss auf die Polarplanung des Telegraphenberges hatte sicher verschiedene Gründe. Die räumliche Trennung seines Hamburger Arbeitsortes schränkte die direkte Einflussnahme Neumayers in Potsdam ein, und dazu hatte er ja noch viele andere Aufgaben zu erfüllen. Und bei der Vorbereitung der Deutschen Südpolar-Expedition 1901–1903 war Neumayer auch schon über 70 Jahre alt.

Alles in allem bestätigt dieser Beitrag nochmals die Richtigkeit der Benennung des bundesdeutschen Antarktisforschungsstation zu Ehren von Georg von Neumayer im Jahre 1981. Außerdem liefert er Hinweise auf Neumayers wissenschaftliche Bemühungen auf dem Potsdamer Telegraphenberg. Das kann nachträglich als ein begünstigender historischer Ausgangspunkt für die Standortwahl der im Jahre 1992 gegründeten Forschungsstelle des Alfred-Wegener-Instituts gewertet werden.

Die Autoren dieses Beitrages, alle mit der Antarktisstation Georg Forster – zwar in unterschiedlichem Umfang – verbunden, haben in den zur Verfügung stehenden historischen Quellen mit Genugtuung genügend Hinweise gefunden, dass Neumayer besonders auf wissenschaftlichem Gebiet ein geradezu glühender Verehrer Forsters war.

Datenverfügbarkeit

Alle genutzten Informationen sind öffentlich zugänglich (siehe Literatur und Fußnoten).

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Haftungsausschluss

Anmerkung des Verlags: Copernicus Publications bleibt in Bezug auf gerichtliche Ansprüche in veröffentlichten Karten und institutionellen Zugehörigkeiten neutral.

Danksagung

Unserem Kollegen Werner Stackebrandt sei für sein Interesse an diesen Recherchen und für die kritische Bemerkungen zum Manuskript gedankt, was dessen Verbesserung ermöglicht hat. Im gleichen Sinne bedanken sich die Autoren für die sorgfältigen, aber auch kritischen Durchsichten durch die Editorin Cornelia Lüdecke, die Gutachterin Johanna Grabow und einen anonymen Referee.

Begutachtung

Dieser Artikel wurde von Cornelia Lüdecke redaktionell betreut und durch Johanna Grabow und einen anonymen Expert begutachtet.

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1

Neumayer ist erst seit 1900 geadelt, denn dem Wirklichen Geheimen Admiralitätsrath Professor Dr. Neumayer, Direktor der Deutschen Seewarte wird nun erlaubt, die verliehenen Insignien, den nichtpreußischen Orden […], das Kompturkreuz des Verdienstordens der Königlich bayerischen Krone anzulegen (Deutscher Reichs-Anzeiger, 6. März 1900).

2

Königlich Preußischer Staats-Anzeiger, 28. Juli 1865.

3

Pfälzische Volkszeitung, 1. Februar 1869.

4

Pfälzische Post, 25. April 1872.

5

Belegt für 1873 bis 1875 (Adreß-Kalender für die königl. Haupt- und Residenzstädte Berlin und Potsdam, sowie Charlottenburg).

6

Deutscher Reichs-Anzeiger, 26. November 1874, S. 4.

7

auszugweise veröffentlicht in Deutscher Reichs-Anzeiger, 13. Juni 1878, S. 2.

8

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, BLHA Sign. 27A Potsdam 622, Kostenanschlag D für die Anlage der Fahrwege auf dem Gebiet des Astrophysikalischen Instituts auf dem Telegrafenberg bei Potsdam 1876.

9

Aus dem Archiv der Seewarte, Jg. 1, 1878, kommentiert in Deutscher Reichs-Anzeiger, 10. April 1880, S. 5.

10

Allgemeine Zeitung Augsburg, 17. März 1876, S. 1165.

11

Allgemeine Zeitung Augsburg, 15. April 1874.

12

z. B. Allgemeine Zeitung Augsburg, 28. Dezember 1874.

13

z. B. Pfälzische Volkszeitung, 23. Dezember 1874.

14

Allgemeine Zeitung Augsburg, 24. Dezember 1874.

15

Allgemeine Zeitung Augsburg, 28. Dezember 1874.

16

Nationalzeitung, 9. Februar 1875.

17

Deutscher Reichs-Anzeiger, 31. Dezember 1875, S. 1.

18

Deutscher Reichs-Anzeiger, 14. Januar 1876, S. 1 und Augsburger Abendzeitung, 18. Januar 1876.

19

Deutscher Reichs-Anzeiger, 30. Juli 1895, S. 3.

20

Allgemeine Zeitung München, 18. Februar 1898, Beilage S. 8.

21

Münchner neueste Nachrichten, 15. Mai 1898, S. 4.

22

Allgemeine Zeitung München, Beilage 18. Mai 1898, S. 1–5.

23

Deutscher Reichs-Anzeiger, 17. Januar 1899.

24

Allgemeine Zeitung München, 21. Dezember 1898, S. 2.

25

Rosenheimer Anzeiger, 18. November 1898.

26

AWI Bremerhaven, Archiv für deutsche Polarforschung Nachlass Adolf Schmidt, Protokoll Beiratssitzung 6. Mai 1899, Sign. S 8 A Nr. 2; Geheimes Staats-Archiv, Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem, GStA PK, Sign. I. HA, Rep. 76, Vc. Sekt 1 Tit XI Teil VA Nr. 7, Bd. 1 und Allgemeine Zeitung München, 8. Mai 1899.

27

Allgemeine Zeitung München, 16. Oktober 1899, Beilage S. 5.

28

AWI Bremerhaven, Archiv für deutsche Polarforschung Nachlass Adolf Schmidt, Protokoll der Subkommissionssitzung 24. November 1899, Sign. S 8 A Nr. 2.

29

Adressbuch für Berlin und seine Vororte 1900.

30

Danziger Zeitung, Nr. 20654, 27. März 1894.

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Short summary
Als Georg Neumayer zum Hydrographen bei der neu gegründeten Kaiserlichen Admiralität berufen worden war, hatte er schon Kontakt zu Wilhelm Foerster, der maßgeblich die Gründung von wissenschaftlichen Einrichtungen auf dem Potsdamer Telegraphenberg betrieb. Der Kontakt war anfangs sehr eng, wegen anderer Aufgaben Neumayers schränkten sich die Mögllchkeiten der Zusammenarbeit etwas ein.