Articles | Volume 90, issue 1
https://doi.org/10.5194/polf-90-7-2022
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Review on polar literature
 | 
24 Jun 2022
Review on polar literature |  | 24 Jun 2022

Buchrezension: Erebus: Ein Schiff, zwei Fahrten und das weltweit größte Rätsel auf See

Cornelia Lüdecke

Michael Palin: Erebus: Ein Schiff, zwei Fahrten und das weltweit größte Rätsel auf See, Aus dem Englischen von Rudolf Mast, Mare Hamburg, 400 ff., ISBN 978-3-86648-604-1, EUR 28,00, 2019.

Es wäre ein toller Sketch für Monty Python's Flying Circus in den 1970er Jahren geworden, wenn die Komikergruppe das Thema „Die modernste britische Polarexpedition des 19. Jahrhunderts“ aufgegriffen hätte. Der Input würde bestehen aus: zwei voluminösen Kriegsschiffen aus den Jahren 1813 (Terror) und 1826 (Erebus) mit einer Kupferverstärkung gegen den Schiffsbohrwurm, einer Entdeckungsreise in die Antarktis (1840–1843), einer Reise zur Entdeckung der Nordostpassage (Start 1845), modernste Ausstattung der Schiffe mit einer Dampfmaschine (25 PS) und einer kohlebetriebenen Dampfheizung. Bleirohre zur Trinkwasserversorgung, einem alten Kapitän als Expeditionsleiter (geb. 1786), schlechtverlöteten Konserven, zwei Überwinterungen vor dem Tod des Expeditionsleiters, Aufgabe der Schiffe nach der dritten Überwinterung und bis April 1848 24 Toten unter 133 Expeditionsteilnehmern. Inuit beteuerten sechs Jahre später, dass im Jahr 1850 kein Weißer mehr am Leben gewesen sei. Die erste schriftliche Nachricht wurde 1859 gefunden. Und Anzeichen von Kannibalismus an den der Expedition zugeordneten Skeletten waren nicht mehr zu leugnen.

Monty Python hat sich diesem Thema nicht genähert, aber es blieb wohl immer bei einem präsent, nämlich bei Michael Palin, seit 2018 Sir Michael Palin. Er ist nicht nur ein berühmter Komiker gewesen, sondern er filmt und schreibt und war von 2009 bis 2012 sogar Präsident der renommierten Royal Geographical Society in London. Offenbar hatte ihn die verschollene Franklin-Expedition in ihren Bann gezogen, denn er begann, sich intensiv mit der Geschichte der Erebus zu beschäftigen, ihrem Bau, ihren Kriegseinsätzen, ihren Expeditionen in die Antarktis und die kanadische Arktis bis zu ihrem Untergang sowie der Auffindung des Wracks im Jahr 2014. Schließlich brachte Palin 2018 ein sehr spannendes Buch darüber heraus, das ein Jahr später auch auf Deutsch publiziert wurde.

Zunächst beschreibt Palin, wie die Erebus in der Werft von Pembroke in Wales gebaut und anschließend im Mittelmeerraum eingesetzt wurde. Dann begleiten wir vier Arktisexpeditionen, die zwischen 1818 und 1833 sowohl auf dem Wasser als auch über Land unterwegs waren, um die Nordwestpassage zu erkunden. Anfangs galt noch William Scoresbys 1820 aufgestellte These, das sich jenseits des Packeisgürtels zwischen 70 und 80 N offenes Polarmeer befindet, auf dem man bis zum Nordpol segeln könne. Dies befeuerte die Royal Society, die Suche nach der Nordwestpassage aufzunehmen. Unter den vier Expeditionen befand sich die Landexpedition unter der Leitung von John Franklin und die Schiffsexpedition unter der Leitung von John Ross, dessen Neffe James Clark Ross bei dieser Gelegenheit 1833 den Magnetpol der Nordhemisphäre fand. Nur wenige Jahre später folgen wir dem jüngeren Ross auf der Erebus in die Antarktis, wo es ihm gelang, die Lage des Magnetpols auf der Südhalbkugel zu bestimmen. Selten liest man so eine gute Nacherzählung dieser Expedition. Gelegentlich streut Palin Bemerkungen über heutige Zustände ein, um beispielsweise auf Umweltveränderungen durch den Klimawandel hinzuweisen. Hin und wieder lässt er auch eigene Erinnerungen beispielsweise zu seinem Besuch auf den Falklandinseln einfließen, wo er historische Orte in der damaligen Hauptstadt Port Louis aufgesucht hat.

Nach James Clark Ross' Rückkehr konnte die Royal Navy davon überzeugt werden, dass die Suche nach der Nordwestpassage erstens ein sehr gutes Training für die Marine in Friedenszeiten wäre und zweitens wesentlich billiger sei, als Ross` Expedition in die Antarktis. Zudem stünden zwei polarbewährte Schiffe zur Verfügung, Erebus und Terror.

Anhand der zugänglichen Informationen stellt Palin den Ablauf von Franklins letzter Expedition auf der Erebus und die Ergebnisse der wichtigsten Suchexpeditionen zusammen. So erfährt man einiges über die Tragik, dass die Berichte der Inuit über die letzten noch lebenden Expeditionsteilnehmer von den britischen Behörden nicht ernst genommen wurden. Der Schotte John Rae war 1853 der Erste, dem die Amerikaner Francis Hall und Frederick Schwatka folgten, indem sie den Hinweisen der Inuit Glauben schenkten. Anhand von deren Berichten fanden sie wichtige Informationen über das Ende der Franklin-Expedition heraus. Palin fasst die verschiedentlich geäußerten Todesursachen von Franklins Männern dahingehend zusammen, dass sie „zur falschen Zeit am falschen Ort waren. … [und] selbst die Einheimischen … [von] ‚den Jahren ohne Sommer‘ sprachen“ (Palin 2019, S. 336). Schließlich waren es erneute Hinweise der lokalen Bevölkerung, die zum Fund der untergegangenen Erebus geführt haben.

Die jeweilige Expeditionsbeschreibung wird mit aussagekräftigen Karten sowie schwarzweiß und farbigen Abbildungen illustriert. Eine Zeittafel ergänzt die Übersicht. Entstanden ist ein sehr kenntnisreiches und kurzweilig zu lesendes Buch, in dem die Erebus als roter Faden durchführt. Es kann jedem empfohlen werden, der sich näher mit Ross' Expeditionen in die Arktis und Antarktis und vor allem mit Franklins letzter Arktisexpedition und dem Schicksal der Erebus sozusagen von der Geburt bis zur Wiedergeburt beschäftigen möchte.

Begutachtung

This paper was edited by Bernhard Diekmann.