Articles | Volume 90, issue 2
https://doi.org/10.5194/polf-90-33-2022
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Review on polar literature
 | 
07 Oct 2022
Review on polar literature |  | 07 Oct 2022

Buchrezension: Erkundung in der Arktis im Dienst der Wettervorhersage. Deutsche militärische Unternehmungen 1940–1944

Diedrich Fritzsche
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Lüdecke, C.: Erkundung in der Arktis im Dienst der Wettervorhersage. Deutsche militärische Unternehmungen 1940–1944, Buchreihe Stella Polaris No. 3, Herausgeber*innen: Klaus Isele, Books on Demand, 236 ff., ISBN 978-3-7519-9794-2, EUR 23,80, 2020.

Während des zweiten Weltkrieges fielen für Deutschland die für Wettervorhersagen in Europa und besonders für die Planung militärischer Operationen wichtigen Wetterinformationen aus dem Nordatlantik und der Barentssee aus. Daher wurden 1940–1944 von der Wehrmacht geheime Operationen in der Arktis zur Erlangung von Wetterdaten mit Flugzeugen, Wetterbeobachtungsschiffen, U-Booten sowie bemannten und automatischen Wetterstationen durchgeführt. Das Buch erscheint in einer der von Klaus Isele editierten Polar-Buchreihen und stellt – zum Teil bisher unveröffentlichte – Berichte von vier an Wetteroperationen maßgeblich beteiligten Akteuren vor. Eine ausführliche Einleitung der Herausgeberin ist den Berichten vorangestellt. Diese ist teilweise erforderlich, um die nicht für eine Veröffentlichung gedachten Berichte zu verstehen. Cornelia Lüdecke, Professorin für Wissenschaftsgeschichte, erläutert die Zusammenhänge und illustriert das Buch mit entsprechendem Bildmaterial aus verschiedenen Quellen. An einigen Textstellen hat sie – deutlich gekennzeichnet – Erklärungen eingefügt. Ferner hilft ein Glossar im Anhang, weitere Fachbegriffe und militärische Abkürzungen zu verstehen.

Ab 1941 werden auf Grönland, Spitzbergen und Franz-Josef-Land bemannte Wetterstationen von der Wehrmacht betrieben. Die Ausbildung der Stationsbesatzungen, der sogenannten Marinewettertrupps, erfolgt auf der Station „Goldhöhe“ im Riesengebirge, die von Hans-Robert Knoespel (1915–1944) vor dem Krieg zur Falkenaufzucht genutzt wurde (Guspietsch, 1945). Beauftragt vom Marine-Wetterdienst, wird sie als Ausbildungsstation von ihm geleitet. Knoespel entwickelt einen Gebäude-Bausatz (Knoespel-Würfel) zur Errichtung von polaren Wetterstationen und leitet zwei Operationen auf Spitzbergen; von Oktober 1941 bis August 1942 unter dem Tarnnamen „Unternehmen Knospe“ und von September 1943 bis Juni 1944 unter dem Code „Unternehmen Kreuzritter“. Mit dem vorliegenden Buch wird Knoespels Tagebuch der Unternehmung „Kreuzritter“ erstmalig veröffentlicht. Zum Verständnis benötigt man hier besonders Lüdeckes einleitende Erläuterungen. Das Tagebuch beschreibt die Fahrt nach Spitzbergen, die Schwierigkeiten der Stationserrichtung im Liefdefjord (Nordwest-Spitzbergen) und das Leben auf „Kreuzritter“. Abgesehen von den militärischen Besonderheiten ist dies ein typisches Tagebuch einer Überwinterung im Polargebiet.

Knoespel schreibt alles auf, was ihm wichtig erscheint: Wetter, tägliche Routinearbeiten, besondere Aktionen, Ausflüge, seine Befindlichkeit und die der Kameraden, Ärger über Mängel der Ausrüstung (hier wird besonders auf die unzureichende Verpackung der Tabakwaren verwiesen), sinnlos erscheinende Anordnungen von Vorgesetzten, Bestandsaufnahme und Verbrauch der Vorräte. Die Mannschaft erwartet in den Weihnachtstagen Nachrichten von den Angehörigen und ist, da diese ausbleiben, besorgt. In der polaren Dunkelheit kommt es zu Depressionen bis hin zur Äußerung „Lieber an der Front in dauernder Gefahr als hier in halber Verbannung“. Die 12 Überwinterer, darunter ein Leutnant und fünf Soldaten, halten abendliche Vorträge, die der Abwechslung dienen. Mit zunehmender Helligkeit werden Außenarbeiten möglich und die Stimmung bessert sich. Zur Sicherheit werden mehrere Depots außerhalb des Stationsgeländes angelegt. Ab Mitte Februar können Trupps von drei bis vier Männern in Außenlagern arbeiten. Zur ersten Gruppe gehört Knoespel. Für die Versorgung dieser Lager sind Märsche zu den Depots erforderlich. Neben den regelmäßigen Wetterbeobachtungen und den über 200 Radiosonden-Aufstiegen werden auch Jagd- und Erkundungsausflüge gemacht, wird biologisches Material gesammelt, werden Lotungen vom Eise der Sördals-Bucht aus durchgeführt und die Umgebung kartographisch erfasst. Insbesondere von den Bergen im Inneren der Halbinsel gibt es keine brauchbaren Karten. Hütten, die feindliche Kräfte nutzen könnten, werden niedergebrannt. Der Kameradschaftsdienst der Wehrmacht meldet Grüße von Angehörigen, jetzt auch für den Wettertrupp auf „Kreuzritter“, was die Stimmung der Kameraden verbessert, zumal sie auch eine vom Flugzeug abgeworfene Postsendung erreicht. Im Laufe des Frühjahres 1944 werden weitere Außenlager eingerichtet und besetzt, Telefonverbindungen hergestellt und die See und der Luftraum ständig beobachtet. Besonders wird jetzt auf Tarnung geachtet. Versuche mit verschiedenen Funkantennen dienen dazu, auf die weithin sichtbaren Funkmasten zu verzichten. Mit der Verminung von Geländeabschnitten wird begonnen. Mit einsetzendem Tauwetter werden die Bedingungen schwieriger und für Ende Juni ist die Abholung des Wettertrupps geplant und wird von der Mannschaft vorbereitet. Hier bricht das Tagebuch, das einschließlich der Anlagen mit 129 Seiten mehr als die Hälfte des Buches füllt, am 29. Juni ab. Am 30. Juni verstirbt Knoespel in Folge eines Unfalls bei der Sprengung einer Hütte und wird im Stationsgelände begraben. Dem Tagebuch schließt sich ein ebenfalls bisher unveröffentlichter Bericht Knoespels „Maßnahmen zur militärischen Sicherung der Station“ an. Beschrieben wird die Fahrt des begleitenden U-Boots U 355 in die Nachbarfjorde im Oktober 1943. Sie diente der Anlage von Depots für eventuelle Ausweichstationen und der Inspektion, z.T. auch der Zerstörung, von Hütten der Pelztierjäger, die vom Feind hätten genutzt werden können. Cornelia Lüdecke hatte im Rahmen einer schwedischen Expedition im Jahr 2000 die Möglichkeit, die Reste der Station „Kreuzritter“ und Knoespels Grab zu besuchen. Sie beschreibt im Buch ihre Beobachtungen und Funde und ergänzt dies durch Farbfotos.

Das Buch enthält weiterhin zwei Berichte vom Marine-Meteorologen Werner Reichelt (1911–1995). Im ersten fasst er die Eis-Beobachtungen von Flugzeugen und U-Booten im bisher unveröffentlichten Bericht „Die Eisverhältnisse des Europäischen Nordmeeres und der Barentssee im Jahre 1942 (vornehmlich in den Sommermonaten)“ zusammen. Die Eisverhältnisse bestimmten nicht nur die Planung von Operationen der deutschen Kriegsmarine, sondern auch den Weg der britischen und sowjetischen Geleitzüge nach Murmansk und Archangelsk. Daher werden die Eisverhältnisse auf U-Bootfahrten und Aufklärungsflügen der Luftwaffe erfasst. Reichelt weist auf die unterschiedliche Qualität der Beobachtungen hin, die sich aber ergänzen. Die Eiserfassung aus der Luft gibt gute Übersichten, gestattet aber meist nur die Erfassung der Eisgrenze, während Eisstrukturen besser vom U-Boot aus zu beobachten sind. Die Eiserfassung ist, bedingt durch die Beobachtungshäufigkeit und unterschiedliche Helligkeit, im Sommer besser als im Winter. Reichelt sieht neben der operativen nautischen Bedeutung den wissenschaftlichen Wert der Beobachtungen und fasst diese für 1942 in Eislagenkarten zusammen. Bedingt durch die Verkleinerung auf das Buchformat sind diese Karten nicht immer leicht zu lesen. Festgestellt wird für 1942 eine anomal weit nach Süden reichende Eisverbreitung im Frühjahr und besonders weit nach Norden reichende offene See im Herbst. Reichelt versucht eine Erklärung in der Annahme eines besonders milden vorangegangenen hocharktischen Winters, der dort zu vorzeitiger Lockerung des Meereises und damit verfrüht zu starkem südlichen Eis-Transport im Frühjahr geführt haben könnte. Ein dadurch bedingter im Jahresgang geringer werdender Eisvorrat in der zentralen Arktis würde dann zu verringerter Eisdrift im Herbst führen. Reichelt diskutiert unterschiedliche Wege feindlicher Geleitzüge und sich daraus ergebende Auswirkungen auf deren Bekämpfung. Die Schiffskonvois versuchen, von Island kommend, das von den Deutschen besetzte Norwegen weit zu umfahren, soweit dies die Eisrandlage erlaubt. In Nordnorwegen sind deutsche Verbände von Kriegsmarine und Luftwaffe stationiert.

Reichelts zweiter Beitrag ist der „Erfahrungsbericht über die Teilnahme an einer Unternehmung in die Westsibirische See auf U 251“, der, in leicht veränderter Form, schon früher publiziert wurde (Walden, 1990). Das U-Boot „U 251“ nahm an einer Geleitzugfahrt des Panzerschiffs „Admiral Scheer“ im Rahmen des Unternehmens „Wunderland“ teil. „Wunderland“ richtete sich gegen sowjetische Handelsschiffe im Nordmeer. Der Erfahrungsbericht betrifft den Zeitraum von Mitte August bis Mitte September 1942 und beschreibt Probleme von funktelegraphischen Wettermeldungen im Fahrtgebiet. Er skizziert ferner die dort angetroffenen Eisverhältnisse und geht auf Beobachtungen von Temperatur und Dichte des Wassers in der Westsibirischen und Kara-See ein. Wasserdichte und -temperatur werden auch auf den Tauchgängen des U-Boots registriert, so das Tiefenprofile gemessen werden. Diskutiert wird die in verschiedenen Meeresgebieten unterschiedliche Tiefenlage der für die U-Bootfahrt wichtigen „Sprungschicht“, in der sich Dichte und Temperatur markant ändern. Diese findet sich in besonders geringer Tiefe im Mündungsgebiet des Ob.

Die Herausgeberin stellt den unveröffentlichten Materialien zwei andernorts erschienene und zum Thema passende Berichte voran. Oberleutnant Rudolf Schütze (1909–1943), einer der erfahrensten Flugkapitäne der in Vaerness bei Trondheim stationierten Wetterflugstaffel, beschreibt einen Wettererkundungsflug mit einer Heinkel He 111 am 4. November 1940 vom Heimatflugplatz in Norwegen ca. 1000 km nach Westen. Die Reichweite der Maschinen lag bei 3000 km (Hin- und Rückflug), was durch Zusatztanks möglich war. Auf Bewaffnung dieser Kampfmaschinen wurde weitgehend verzichtet. Schütze beschreibt jedoch, wie das Bug MG benutzt wird, um bei ruhigem Wetter durch Schüsse auf die Meeresoberfläche die genaue Windrichtung anhand der verwehten Fontänen des Spritzwassers festzustellen. Durch Höhenaufstiege vom Meeresniveau bis auf fast 6000 m werden zusätzlich Profildaten, sogenannte „Temps“, gewonnen. Die Schilderung ist sehr lesenswert wegen ihrer anschaulichen Beschreibung technischer Details und von Himmelslicht, Wolken, Wetter und Meer. Im Mittel wurden zwei derartige Flüge täglich mit He 111 und Ju 88 zwischen 1941 und 1944 von Norwegen aus durchgeführt (Holzapfel, 1951). Ritterkreuzträger Rudolf Schütze starb am 26. August 1943 beim Absturz seiner Maschine. Nach dem Start vom Flughafen Banak in Richtung Deutschland ereignete sich dieser über der Halbinsel Hamnbukta (Nordnorwegen).

Zur Wetterbeobachtung auf See setzte die Kriegsmarine ab 1940 umgebaute Fischerei-Trawler als Wetterbeobachtungsschiffe (WBS) ein. Franz Nusser (1902–1987), 1942 Leiter der unter dem Decknamen „Unternehmen Nußbaum“ organisierten Wetterstation auf Spitzbergen, späterer Referent für den Eisdienst am Deutschen Hydrografischen Institut und Leiter der Abteilung „Meereskunde“ (Strübing, 1987), beschreibt zwei Einsätze des WBS I „Sachsen“. Die „Sachsen“ ist äußerlich von einem Fischereifahrzeug kaum zu unterscheiden, fährt unbewaffnet mit einer Mannschaft überwiegend in Zivil. Die erste Fahrt erfolgt im September 1940 nach Ostgrönland, das schon unter militärischer Schutzherrschaft der Amerikaner steht. Neben den Standard-Wettermeldungen werden täglich Radiosonden-Aufstiege durchgeführt. Das Schiff muss zwischendurch die Position wechseln, nachdem es von feindlicher Seite durch Funkpeilung geortet wurde und operiert insgesamt 76 Tage. Auf der Heimfahrt läuft es nahe Trondheim auf Grund und wird beschädigt. Eine zweite Fahrt im Frühjahr 1941 geht durch die Dänemarkstraße und anschließend zur Wetterbeobachtung auf eine Position nahe Jan Mayen. Als Meteorologe ist Hans-Robert Knoespel an Bord. Der Einsatz dauert 86 Tage. Das Buch endet mit Literatur-, Quellen- und Abbildungsverzeichnissen. Die von Frau Lüdecke gewählte Zusammenstellung enthält Beispiele aller von der deutschen Wehrmacht zur Wettererkundung genutzten Plattformen: Flugzeug, Wetterbeobachtungsschiff, U-Boot und Landstation. Das Buch ist gut lesbar. Besser wäre die Übersichtlichkeit, wenn eine kurze Einführung, eventuell mit biografischen Angaben zum Autor, vor dem entsprechenden Bericht erschiene.

Begutachtung

This paper was edited by Bernhard Diekmann.

Literatur

Guspietsch, Th.: Hans-Robert Knoespel zum Gedächtnis, Polarforschung, 15, 25–27 https://doi.org/10.2312/polarforschung.15.1-2.25, 1945. 

Holzapfel, R: Deutsche Polarforschung 1940/45, Polarforschung, 21, 85–97, https://doi.org/10.2312/polarforschung.21.2.85, 1951. 

Strübing, K.: Franz Nusser, Polarforschung, 57, 199–200, https://doi.org/10.2312/polarforschung.57.3.199, 1987. 

Walden, H.: Der Marinewetterdienst 1933–1945 – Versuch einer geschichtlichen Darstellung, Deutscher Wetterdienst Seewetteramt, Hamburg, Einzelveröffentlichung, 117, 140–143, 1990.