Hochgebirgsforschung vor über 100 Jahren: Heinrich von Fickers Vortrags- und Vorlesungsmanuskripte im Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin
Als ich im Jahr 1984 an einem Sommerkurs über Air-Sea-Interaction am Institute of Atmospheric Sciences der University of Washington in Seattle (USA) teilgenommen hatte, lernte ich unter anderem den Meteorologen und Polarforscher Norbert Untersteiner (1926–2012) kennen, der damals Direktor des Polar Science Center at the University of Washington war (Wettlaufer, 2012).
Zu meiner Überraschung erhielt ich im August 2006 – 22 Jahre nach unserer Begegnung – von dem damals bereits emeritierten Prof. Untersteiner eine E-Mail, in der er mir von Vorlesungsmanuskripten aus der Hand des Meteorologen Heinrich von Ficker (1881–1957) berichtete. Untersteiner hatte 1950 in Innsbruck promoviert und wurde anschließend Fickers letzter Assistent. Ficker war damals Professor für Physik der Erde an der Universität Wien und zugleich auch Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Anlässlich von Fickers Pensionierung von der Zentralanstalt im Jahr 1953 bekam Untersteiner dessen Manuskripte und einen ausgestopften Kaiserpinguin übereignet, der ihn in die USA nach Seattle begleitete (Abb. 1).
Es handelte sich um Vortragsmanuskripte und um Ausarbeitungen von Vorlesungen, die Ficker Untersteiners Vermutung nach an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin gehalten hatte, wo er von 1923 bis 1937 als Professor für Meteorologie und zusätzlich als Direktor des Preußischen Meteorologischen Instituts seinen Wirkungskreis hatte. Nachdem nun Untersteiner seinerseits emeritiert war, tauchten beim Ausräumen seines Universitätsbüros diese Skripte wieder auf, für die er jetzt einen guten Platz finden wollte.
Ich war damals Präsidentin der International Commission on History of Meteorology und versprach, diese historischen Dokumente in ein passendes Archiv bringen. So bekam ich insgesamt 28 Archivalien aus Seattle zugeschickt, die aus lauter mit Tinte beschriebenen Loseblattsammlungen bestanden. Sie beschäftigen sich mit der Physik der Gletscher (Manuskript, 72 Seiten mit Abbildungen), den Gletscherphänomenen (Vortrag bei der Gesellschaft Urania in Berlin, 21 Seiten), der Pamirexpedition des Deutsch-Österreichischen Alpenvereins im Jahr 1913 (Vortragsmanuskript für die Geographische Gesellschaft in Wien, 11 Seiten) und den meteorologischen Verhältnissen dieser Expedition (Vortragsmanuskript für den Naturwissenschaftlichen Verein in Graz, wo Ficker damals den Lehrstuhl für Meteorologie innehatte, 8 Seiten). Auch gibt es eine Liste mit Diapositiven der Pamirexpedition, aber leider nicht die Dias selbst. Zwei andere Manuskripte behandeln Ballonfahren in den Alpen sowie Theorie und Praxis der Ballonführung. Des Weiteren gibt es Vortrags- und Vorlesungsmanuskripte mit den Titeln „Allgemeine Meteorologie“, „Wettervorhersage“, „Synoptische Meteorologie“, „Kälte- und Wärmewellen, Föhn u. Bora“, “Statik der Atmosphäre“, „Dynamik“, „Klimatologie“ und „Geophysik“. Außerdem sind zudem noch drei literarische Arbeiten wie beispielsweise sechs Seiten über „Bergfrieden“ vorhanden.
Gerade die Arbeiten über die Alpen und das Hochgebirge, die immer wieder mit einem Bleistift überarbeitet und ergänzt wurden, spiegeln Fickers besonderes Interesse wider. Als gebürtiger Münchner wurde er schon früh ein begeisterter Bergsteiger, der folglich sein Studium in Innsbruck aufnahm und in den dortigen Akademischen Alpenklubs eintrat (https://melzerknappen.at/ber-otto-melzer/gef-hrten-und-begleiter, letzter Zugriff: 20. August 2019). Umgehend wurde er einer der besten Tiroler Kletterer. Ficker hatte das Glück, 1903 zusammen mit seiner Schwester Cenzi (1878–1956) an der Kaukasus-Expedition unter der Leitung von Willi Rickmer Rickmers (1873–1965) teilnehmen zu können. Nach seiner Promotion im Jahr 1906 begann Ficker in Innsbruck, den dort vorherrschenden Föhn näher zu erforschen (Geiger, 1961). Teilweise unternahm er dafür abenteuerliche Ballonfahrten über die Alpen. Schließlich erhielt er 1911 seine erste Professur für Meteorologie an der Karl-Franzens-Universität in Graz (1911–1923). Im Jahr 1913 nahm er als Meteorologe und Bergsteiger erneut an einer Expedition unter Rickmer Rickmers in den Pamir teil, die vom Deutsch-Österreichischen Alpenverein ausgerichtet wurde (Ficker, 1914). 1922 wechselte Ficker an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Als 1928 Rickmer Rickmers mit finanzieller Unterstützung der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft die organisatorische Leitung der deutsch-russischen Alai-Pamir Expedition inne hatte, fiel Ficker zusammen mit Rickmer Rickmers die Herausgabe der wissenschaftlichen Ergebnisse zu (Ficker und Rickmers, 1932). 1937 zog es Ficker nach Österreich zurück, wo er bis 1953 an der Universität in Wien tätig (Geiger, 1961).
Neben kurzen Texten oder auch nur einigen Stichworten findet man in seinen Manuskripten häufig Abbildungen, die Ficker während seiner Vorlesung wohl an die Tafel skizzierte. Von besonderem Interesse dürfte hier das ausführliche Manuskript über die Physik der Gletscher sein, in der sehr schöne Skizzen enthalten sind. Beispielsweise beschäftigte sich Ficker ausführlich mit der Auswirkung von Felseninseln in Firn- und Zungengebiet eines Gletschers (Abb. 2).
Detailliert stellte Ficker die Verlagerung der Gletscherzunge des Vernagtgletschers im Zeitraum von 1889 bis 1902 dar, als ein beachtlicher Vorstoß beobachtet wurde (Abb. 3).
Das Manuskript über die meteorologischen Verhältnisse des Pamirgebietes enthält ebenso interessante Darstellungen, wie eine Beschreibung und Skizze der rezenten Vergletscherung (Abb. 4).
Auch die unterschiedlichen Talformen der Hochsteppe interessierten Ficker. So zeichnete er in seiner Übersicht ein Schichttal, zwei Formen, die im Mustaghtal auftreten, und eine Hochsteppe, die er als keine einheitlich zusammenhängende Hochebene definierte und in seiner nachfolgenden Skizze im Profil wiedergab (Abb. 5).
Nachdem dieses historische Material gut zehn Jahre von mir verwahrt wurde,
habe ich es schließlich dem Universitätsarchiv der
Humboldt-Universität zu Berlin übergeben, siehe untenstehende
Kontaktdaten. Nun sind die Archivalien für Forschungszwecke
öffentlich zugänglich. Der Ficker-Nachlass umfasst er 28
Verzeichnungseinheiten und ist unter
https://www.archiv-hu-berlin.findbuch.net (letzter Zugriff: 20. August 2019) recherchierbar. Seine Signatur
lautet HU UA, NL von Ficker, Nr. 1-2-8 und kann damit bestellt und im
Lesesaal eingesehen werden.
Kontakt:
Humboldt-Universität zu Berlin
– Universitätsarchiv –
Tel. +49(0)30-2093 99747
Adresse:
Universitätsarchiv
Wagner-Régeny-Str. 5
12489 Berlin