Im Gegensatz etwa zu den europäischen Weltumsegelungen des 19.
Jahrhunderts profitierten die Walfänger nicht von der englischen
Kulturmission, die dafür Sorge trug, dass die Seefahrer und Entdecker
über weite Teile der Ozeane durch Zeitungsberichte oder Briefe, die in
den Häfen der europäischen Kolonien bereits auf sie warteten,
über aktuelle Nachrichten und politische Entwicklungen informiert
wurden. Die Walfänger waren den Großteil der Fangsaison, die sich
von Februar bis August erstreckte, vom Rest der „zivilisierten“ Welt abgeschnitten. Damit einher ging eine gewisse
Einsamkeit, welche auch Doyle nicht mit dem Lesen diverser Bücher oder
dem Schreiben von Kurzgeschichten auszufüllen vermochte.
Um der lähmenden Totenstille und der andauernden Langeweile des
Schiffsalltags zu entgehen, vor allem an jenen Tagen, an denen die
„Hope“ im Eis gefangen war oder aber keine Robben
beziehungsweise Wale gesichtet wurden, verbrachte Doyle seine Freizeit mit
den Besatzungsmitgliedern, deren Gespräche sich vornehmlich um
„zoology, murders, executions and ironclads“ drehten (Doyle,
2012). Leider geht der junge Student nicht weiter auf den Inhalt der
Unterhaltungen ein. In Anbetracht von Doyles spöttischer Bemerkung, das
Leben mit den Matrosen habe eine geistige Stagnation bewirkt, die sogar zu
einer gewissen Verrohung beitrug, ist anzunehmen, dass es sich dabei kaum um
intellektuelle Erörterungen, wie er sie aus Edinburgh kannte, gehandelt
hat. Doyle kontrastierte sozusagen die wilde und raue Männlichkeit der
Matrosen mit der ihm bekannten, als gebildet und zivilisiert dargestellten
Männlichkeit des britischen Bürgertums. Im Gegensatz zu anderen
reisenden Naturforschern seiner Zeit brandmarkte er das Verhalten der
Matrosen aber nicht. Vielmehr versuchte er ihre vermeintliche emotionale
Härte, aber auch die ihnen zugeschriebene starke Physis zu
übernehmen.
Abb. 2Arthur Conan Doyle (3.v.l.) und Captain John Gray (4.v.l.) posieren
gemeinsam mit weiteren Seemännern auf dem Achterdeck des Walfängers
„Hope“ im Jahr 1880 (unbekannter Fotograf, publiziert in „The Strand
Magazine“, Januar 1897).
Download
So zeigte sich Doyle enthusiastisch was die Jagd auf Klappmützenrobben
betraf, die von der Crew hingegen als ermüdend empfunden wurde. Durch
seinen Eifer, so glaubte er, ermutige er als Neuling und gelehrter
Außenseiter sogar seine Kameraden, und mit seinem Tatendrang
signalisiere er zugleich sein Bestreben, Teil der Mannschaft zu werden. Im
Vergleich zum Walfang besaß die Robbenjagd keineswegs einen sonderlich
ruhmreichen Ruf, diente sie doch vornehmlich dem Zweck, die gefährliche
und lange Reise zu finanzieren. Die erbarmungslose Jagd auf die
„poor little Toby's“ gewann für Doyle vor allem deshalb an
Reiz, weil sie durch die natürlichen Gefahren der Arktis einen gewissen
Kick bereithielt, wie er viele Jahre später dem irischen Schriftsteller
Bram Stoker in einem Interview erzählte (Orel, 1991). Ohne Frage stellte
die Robbenjagd eine lebensgefährliche Tätigkeit dar, insbesondere
wenn es dem Jäger an Erfahrung auf dem Eis mangelte. Denn der Sturz ins
eiskalte Wasser konnte binnen weniger Minuten den Tod bedeuten, sofern es
dem Gestürzten nicht gelang, zurück aufs Eis zu klettern.
Der eigentliche Zweck der Reise, die zugleich den größten Ruhm
versprach, begann im Juni 1880, als die „Hope“ in Walgebiete
segelte. Da Doyle am Profit beteiligt war, hegte er ein natürliches
Interesse am Erfolg der Jagd. Insgesamt verfügte das Schiff über
acht Walboote, von denen im Regelfall nur sieben bemannt wurden, während
die sogenannten Freiwächter („idlers“), sprich alle, die
mit anderen Pflichten betraut waren, an Bord zurückblieben. Auf dieser
Reise erklärten sich die Freiwächter, insbesondere der junge Doyle,
interessanterweise dazu bereit, das achte Schiff zu bemannen und an der
Waljagd teilzunehmen. Für ihn glich die lebensgefährliche Waljagd,
die er in seinem Reisetagebuch äußerst lebhaft schildert, von allen
ihm bekannten Herausforderungen noch am ehesten dem Mannschaftssport. Ein
Aspekt, den er in Vorträgen durch die Präsentation geeigneter
Tierpräparate – in Ermangelung bildhafter PowerPoint-Vorträge –
unterstrich.
Insgesamt wird an seinen Beschreibungen deutlich, dass Doyle die arktische
Fauna eher mit sportlichem als akademischem Interesse betrachtete und sie
vornehmlich als Zielscheibe nutzte, um seine Treffsicherheit mit der Flinte
oder Harpune zu beweisen. Wohl auch deshalb findet sich in seinem Journal
wiederholt der Terminus „right whale“ für den
Grönlandwal, eine Bezeichnung, die er von den Walfängern
übernahm, deren Interesse für zoologische Unterschiede als gering
eingestuft werden muss und die damit deutlich machten, dies sei der richtige
Wal zum Töten – im Gegensatz etwa zum Finnwal, der für die
Segelschiffe und Ruderboote des 19. Jahrhunderts schlicht zu schnell war.
Obgleich er in dieser Hinsicht äußerst kaltblütig vorging,
mangelte es ihm keineswegs an Wissensdurst. Seine Einträge im
Reisetagebuch lassen erkennen, dass er wiederholt sowohl die maßgebliche
Fachliteratur konsultierte als auch seine Schiffskameraden in Bezug auf die
Tierwelt der Arktis ausfragte. Gerne nahm er auch Anekdoten oder skurrile
Begebenheiten auf, wie den seltsamen Wal mit der Eisenhaut. In weiten Teilen
entsprechen seine Aufzeichnungen dabei dem Wissensstand des späten 19.
Jahrhunderts, einschließlich der verbreiteten Irrtümer seiner Zeit
(Göllnitz and Kragh, 2020). Die zahlreichen Beschreibungen der
arktischen Flora und Fauna, die er in seinem Journal festhielt, sind trotz
der naturwissenschaftlich-medizinischen Ausbildung, die er in Edinburgh
genossen hatte, teilweise unzuverlässig und, dessen kuriosem
schottischen Dialekt sowie dem Seemannsgarn seiner Kameraden geschuldet,
auch rätselhaft.